Arabiata: Durch das wilde Schammarstan

Über den heutigen irakischen Staatspräsidenten Ghasi al-Jawar und seinen berühmten Ur-ur-ur-ur-Ahnen

Von leiser Nervosität bis zu heller Aufregung – innerhalb dieser Bandbreite reagierten die deutschen Medien bei der Ernennung des ersten irakischen Staatspräsidenten nach Saddam Hussein, Ghasi al-Jawar. Zum einen wusste niemand so recht, wie sein Name auszusprechen ist. Alles war drin – von Gatttzi bis al-Dschauhaar.

Zum anderen war die Biografie des Mannes so gut wie unbekannt. Statt zu fließen, tröpfelten die Informationen zu seinem Werdegang aus den Federn der Nahost-Korrespondenten. Selbst al-Jawars Alter changierte zwischen 41 und 46 Jahren. Jeder schrieb also das, was alle schrieben – Schlagworte: „Geschäftsmann“, „Ingenieur“, „Ausbildung in Washington und Mosul, woher er auch stammt“, „exzellente Beziehungen zu Saudi-Arabien, wo al-Jawar zeitweilig wohnte“. Und immer der Beisatz „Führer des Stammes der Schammar, einer der wichtigsten Großfamilien des Irak“.

Selten wurde so häufig so wenig über einen Staatspräsidenten publiziert und das, obwohl allein das Internet über die Familiengeschichte des Ghasi al-Jawar viel zutage bringt.

Gibt man „Schammar“ als Suchbegriff ein, werden einem selbst Beiträge eines Sachsen geboten, der Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhundert im weitesten Sinne Ethnologie betrieb. Zu lesen ist da zum Beispiel etwas über das ursprüngliche Siedlungsgebiet der Schammar: „Die Schammar haben ihren Namen von dem in Arabien südlich von der Wüste Nefuhd liegenden Dschebel (Berg) Schammar, den sie als Mittelpunkt ihres ausgedehnten Gebietes betrachten.“ Heißt: Die Wurzeln der Schammar befinden sich in einem Gebiet, das heute zu Saudi-Arabien zählt. Dort hatte der Stamm am Fuße des Berges, dem die Schammar ihren Namen verdanken – einst ein eigenes Reich proklamiert. Das zerschlug 1921 König Abul Asis, der Gründer Saudi-Arabiens. Durch gezielte Eheschließungen mit Mitgliedern der Schammar gelang es dem Monarchen indes, eine Politik der Versöhnung zu betreiben – jedenfalls mit einigen Teilen des Stammes. Andere Teile der Schammar flohen in den Irak – in den Schutz eines Familienzweiges, der schon früher emigriert war und bekannt wurde durch seine Aufsässigkeit gegen die osmanischen Herrscher. Jener Autor aus Sachsen, auf dessen Namen wir später eingehen werden, zitiert beispielsweise einen Dialog zwischen einem Reisenden und einem Kurden: „Ich sagte die Wahrheit, weil ich mich auf die Feindschaft zwischen den Türken und den Schammar verließ. (…) ‚Ich kenne die Schammar‘, hob der Kurde an. ‚Sie (…) trinken das Wasser des Meeres und haben böse Augen. Sie heirathen ihre eigenen Mütter und machen Rollen aus dem Fleisch der Schweine.‘“

Wenngleich die Schammar für ihre Religiosität bekannt sind und deshalb wohl fälschlich der Schweinefleischesserei bezichtigt werden, gilt der derzeitige Staatspräsident des Irak als Nachfahre dieses Clan-Netzwerkes. Und auch das Startkapital für seine Geschäfte hat al-Jawar wohl dem Vermögen zu verdanken, das seine Ahnen sich vor mehr als hundert Jahren erarbeitet hatten. Sie machten es sich zunutze, dass andere Stämme seinerzeit modernste Kamelzüchtungen betrieben. Bei unserem Völkerkundler aus Sachsen ist zu lesen: „Die Schammar (…) sind so klug gewesen, sich dieses vorzügliche Material zu erwerben, und züchten nun Reitkamele, welche denen der Bischari wenigstens gleichkommen, aber meiner Ansicht nach sie sogar übertreffen.“

Für den heute so zerrütteten Irak ist zu hoffen, dass Ghasi al-Jawar auch jenes Kapital geerbt hat, das seine Vorfahren in ihren Genen angelegt haben. Der Autor aus Sachsen schreibt über den Schammar-Stammeschef seiner Zeit: „Dieser war von Person sehr klein und hager, dabei aber von ungewöhnlicher Tapferkeit (…). Ein guter Schütze, auch sonst sehr waffengewandt, ausdauernd, körperkräftig, außerordentlich mäßig, ein vortrefflicher Reiter, pfiffig und mutterwitzig, besaß er ein treues, goldenes Herz, in welchem keine Spur von Falschheit entdeckt werden konnte.“

Der Ur-ur-ur-ur-Ahn des heutigen irakischen Staatspräsidenten, der auf diese Weise höchst positiv charakterisiert ist, war niemand Geringeres als Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah. Das ist so wahr wie alle anderen Rechercheergebnisse in diesem Beitrag.

Wir erwarten deshalb eine Rede von Präsident al-Jawar, in der er die Gründung eines Museums in Bagdad ankündigt – zu Ehren jenes berühmten Sachsen namens Karl May. Fällig ist auf jeden Fall aber eine Ehrenbürgerschaft für Kara ben Nemsi.

BJÖRN BLASCHKE