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■ Appell gegen GeheimverfahrenWächter bewachen

Alle Gewalt geht vom Volke aus, heißt es im Grundgesetz. Dessen Väter hatten vielleicht die nicht ganz unberechtigte Befürchtung, daß sich Stammtischbrüder berufen fühlen könnten, derartige Formulierungen wörtlich zu nehmen. Deshalb haben sie die Gewaltentrennung festgelegt, die besagt, daß besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtssprechung als einzige diese Gewalt ausüben dürfen. Doch weil den Schöpfern des Grundgesetzes noch frisch in Erinnerung war, zu welchen Entgleisungen die Rechtsprechung in der Lage ist, hatten sie dem Öffentlichkeitsgrundsatz besondere Bedeutung zugemessen. Ein Rechtsprinzip, das eine lange Tradition hat.

Doch damit ist es nun vorbei. Heimlich, still und leise, unbemerkt von einer Öffentlichkeit, um die es eh nicht mehr geht, haben die Gesetzgeber im Rahmen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes unter anderem den Paragraphen 257a kreiert, der den Richtern die Möglichkeit einräumt, über Beweismittelanträge unter Ausschluß der Öffentlichkeit befinden zu können. In völliger Ignoranz gegenüber der Tatsache, daß Menschen dazu neigen, ihnen eingeräumte Macht mindestens zu gebrauchen, hat die Standesvereinigung der Anwälte die Richter nun in einem vorweihnachtlichen Appell darum gebeten, von der Neuregelung nur in extremen Ausnahmefällen Gebrauch zu machen. Seitdem kreist der Wunschzettel wie ein guter Geist in den Gerichtssälen. Scheinbar völlig folgenlos. Denn was für den einen Richter Prozeßalltag ist, mag für den anderen breits ein extremer Ausnahmefall sein.

Und weil die Frage, wer die Wächter selbst bewachen soll, schon die Römer beschäftigt hat, nutzen hier keine noch so gutgemeinten Appelle. Wenn wie hier Grundprinzipien demokratischer Rechtssprechung de facto abgeschafft werden, müssen andere Instanzen als die Begünstigten selbst darüber befinden, ob das rechtens ist. Dem Deutschen Anwaltsverein wird letztendlich bloß der Gang zum Bundesverfassungsgericht bleiben. Peter Lerch

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