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Wahltagebuch

Antwort auf Harald Welzer And the winner is: Klimapolitik!

Warum die Bundestagswahl keine Wahl gegen, sondern für Klimapolitik war.

Foto: dpa

Von KAI NIEBERT

Kognitive Dissonanz. Diese Diagnose heftete Harald Welzer uns Bürger:innen in seinem Beitrag „Das war's, liebe Kinder“ mit Blick auf den Wahlausgang an. Seine These: die Bundestagswahl sei „eine Wahl gegen ernsthafte Klimaschutzpolitik“ gewesen. Die Klimakrise sei so gewaltig, dass wir sie wegleugnen statt Annalena Baerbock zur grünen Kanzlerin zu wählen.

Da Welzers Argument mich in einen kognitiven Konflikt – also einen Widerspruch zwischen eigenen Wahrnehmungen und der meines geschätzten Kollegen brachte, begann ich nachzuforschen, um – Karl Popper folgend – meine Vorstellungen zu widerlegen.

In der Tat: Nach einem grandiosen Hoch der Umfragewerte im Frühling diesen Jahres schien eine grüne Klimakanzlerin zum Greifen nahe. Die Fridays for Future schienen ihr Ziel erreicht zu haben. Doch der Stern sank im Laufe des Jahres stetig. Dabei konnten auch 620.000 demonstrierende junge Menschen den Abschwung nicht aufhalten. Offensichtlich ist den Wählenden ihr Hemd doch näher als die Hose, mit der sie schon in den Fluten der Klimakrise stehen. Ist das Klima also doch nicht wichtig? Ab nach Hause, Kinder und überlasst den Klimaschutz den Profis? Hat Corona das Klima als Sorge Nummer 1 verdrängt?

Die Klimakrise scheint bei den Menschen angekommen

Hmm. Das nationale Sorgenbarometer wurde in diesem Jahr oft ausgefahren, um die Stimmung im Land zu erfassen. Das Bild war deutlich: Für knapp die Hälfte der Befragten war der Stopp der Klimakrise das wichtigste Thema überhaupt – weit vor Corona. In der Wahlkabine ergab sich ein ähnliches Bild: 22 Prozent aller Befragten gaben an, die Klimakrise hätte ihre Wahlentscheidung dominiert. Übertrumpft wurde der Klimaschutz nur von der sozialen Sicherheit (28 Prozent), war aber gleichauf mit Wirtschaft. Bei der Forschungsgruppe Wahlen gaben 46 Prozent der Befragten den Klimaschutz als das mit Abstand wichtigste Problem an, deutlich vor Corona (23) und Rente (12).

Die Klimakrise scheint bei den Menschen angekommen. Also liegt hier vielleicht keine kognitive Dissonanz, aber ein Attitude-Behaviour-Gap, eine Lücke zwischen Wissen und Handeln vor? Gleiche Symptome, nur eine andere Diagnose? Oder sind vielleicht doch Fehler im Lebenslauf und Zitierfehler Schuld, wenn die Klimakrise nun eskaliert?

Sicher werden die Antworten vielfältig sein. Doch auch wenn es sich nur teilweise in Prozenten ausdrückt, sind die Erfolge der Grünen grandios: Sie haben den anderen Parteien das Klimathema aufgezwungen. An jeder Stelle haben Annalena Baerbock und Robert Habeck gefragt und ungefragt die Bedeutung der Klimakrise betont. Mit Erfolg: Olaf Scholz hat sich als Kanzler für Klimaschutz plakatieren lassen und Armin Laschet ein klimaneutrales Industrieland zumindest rhetorisch zum Ziel erklärt. Heute treiben die Klimaunion die CDU und die SPDfor1point5-Initiative die Sozialdemokraten vor sich her. Die CDU legte auf den letzten Metern mit einem rhetorischen Turbo für erneuerbare Energien nach, Olaf Scholz wollte Windräder künftig in Lichtgeschwindigkeit genehmigen und Lindner verlangte die Denkwende für Wasserstoff. Auch mit all diesen Plänen ist der Weg bis zur 1,5 Grad-Grenze noch weit. Aber alle Parteien haben programmatisch erheblich nachgebessert, dank erfolgreicher Kampagnen von beharrlichen Grünen, hartnäckigen Jugendlichen und ausdauernden Umweltverbänden.

Klimaschutz als Gewinnerthema

Der Stern der Grünen sank übrigens in einer Zeit, als die Klimapolitik der Bundesregierung für nicht verfassungsgemäß erklärt wurde. Das Bundesverfassungsgericht gab der Regierung im April ein Jahr zum Nachbessern. Und Umweltministerin Schulze nutzte ihre Chance und zog ihre fertigen Pläne aus der Tasche: Klimaneutralität 2045 und deutlich nachgeschärfte Klimaziele 2030 wurden in einer Geschwindigkeit durch Bundestag und Bundesrat gebracht, in der keine Lobby – auch nicht die Klimabremser in der Union – gegenhalten konnte. Nun wäre es absurd, die GroKo als Klimaregierung zu bezeichnen, denn wir hatten genug Momente der Enttäuschung. Doch was beim Bürger hängen blieb war: Ach, schau mal an. Wenn sie müssen, können sie ja. Geht doch.

2021 war das erste Jahr, in dem SPD, Union und auch die FDP die Erfahrung gemacht haben, dass man gegen den Klimaschutz keine Wahl gewinnen kann. Klimaschutz war nicht mehr ein Thema, das man den Grünen überlässt, sondern das man in seine eigene Kernlogik einbauen muss: industriepolitisch (SPD, CDU) oder marktwirtschaftlich (FDP). Olaf Scholz hat früh erkannt, dass die Beschleunigung des stotternden Ausbaus der Erneuerbaren Energien nicht nur industriepolitisch notwendig, sondern auch ein Gewinnerthema sein kann. Das unterscheidet ihn von Laschet, der mehr als unglaubwürdig war, nachdem er in NRW der Windkraft mit Abstandsregelungen den Hahn zugedreht hatte. Genau das bildete sich dann auch in den Wählerwanderungen deutlich ab. Im Ergebnis ist die Zusammensetzung des 20. Deutschen Bundestags klimapolitikfreundlicher geworden. Das Lager der Klimabremser ist geschwächt und es sind viele junge Abgeordnete dabei, die Klimaschutz im Wahlkampf als Gewinnerthema erlebt haben.

Auch wenn ich nun Gefahr laufe, in den so genannten Bestätigungs-Bias zu geraten, dem zufolge wir Fakten aus dem eigenen Weltbild heraus wahrnehmen: Alles nebeneinander gelegt war das eine ehrliche Klimawahl. Die Bürger:innen wollen einen Klimaschutz, der sozial gerecht ist, sie nicht den Job kostet und wirtschaftlich erfolgreich ist. Wenn die angehenden Koalitionäre nun die wahlentscheidenden Themen ernst nehmen und erkennen, dass die Klimakrise nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die soziale Sicherheit gefährdet. Wenn sie erkennen, dass intelligente Klimapolitik mehr Sicherheit und eine brummende Wirtschaft bedeutet. Wenn sie Klimaschutz als Gemeinschaftsaufgabe begreift, dann kann aus einer ehrlichen Klimawahl eine Klimakoalition werden.

Eine Koalition, die die Klimaampel auf Grün stellt.

KAI NIEBERT ist Nachhaltigkeitsforscher an der Universität Zürich und Präsident des Deutschen Naturschutzrings.