■ Antwort auf G. Rosenkranz' „Plutonium“-Essay vom 26.8.: Infotainment total
Wie schön war's doch im Kalten Krieg, daß selbst kritische Menschen derart ins Schwärmen geraten, wie Gerd Rosenkranz in der gestrigen taz: „Trotz der gewaltigen Anhäufung der Bombenstoffe Plutonium und Uran sorgten Geheimdienste in Ost und West mit ungeheurem Aufwand für einen weithin geschlossenen Stoffkreislauf.“ Danke, KGB, CIA, BND und Stasi, die ihr über uns gemeinsam wachtet, auf daß nie auch nur ein Milligramm Plutonium die vorbestimmten Kreisläufe verlassen konnte!
Wirklich? Allzuweit kann's mit der Quarantäne nicht hergewesen sein, wenn Länder wie Indien und Pakistan die Bombe haben, gebaut übrigens auf Grundlage von Blaupausen aus dem Westen, scharf gemacht mit Stoff, der höchstwahrscheinlich aus China kam, jener in diesen hysterischen Nuklearschmuggel-Tagen völlig vergessenen legalen Atommacht.
Unser guter Geheimdienst, er tut auch jetzt alles, das Teufelszeug zu bannen, indem er die Lecks beim bösen Russen stopfen geht. Wen stört es schon, daß die Russen dankend ablehnen und jetzt weniger als zuvor bereit sind, ihre Atomanlagen westlichen Experten zu öffnen? Wen stört es, daß der deutsche Geheimdienst die Angebotsseite des Marktes erst über die jahrelange Arbeit seiner V-Leute schaffen mußte? Und wer findet es bedenklich, daß der BND genau das tut, was Gerd Rosenkranz so gerne auf Rauschgiftfahnder beschränkt sähe: stolz das Köfferchen mit dem „größten jemals sichergestellten Fund“ des Ultragifts herumzuzeigen?
Diese Inszenierung – sie ist eben keine Mücke, die es nur zu verscheuchen gälte, weil doch jetzt die Zeit gekommen sei, endlich nach Lösungen zur Eindämmung der Plutoniumgefahr zu suchen. Sie schafft sich im Gegenteil durch die ständige Beschwörung beruhigende Normalität. So stärkt man nicht die Forderung nach dem Atomausstieg, im Gegenteil.
Nie seit Tschernobyl war die Ausstiegsdebatte weiter entfernt von der politischen Tagesordnung als jetzt. Wen beunruhigt noch ein sauberes deutsches Hochsicherheitstrakt-AKW im Vergleich zu den schlampigen Russenklitschen? Dazu kommen die Dunkelmänner der „Atom-Mafia“, die jetzt, nach Autos, Mädchen und Rauschgift, auch Plutonium verdealen.
Wirklich? Ein Absatzmarkt ist keinesfalls, wie Rosenkranz lässig behauptet, für jedes Produkt da, wenn der Handel nur erst verboten ist. Nicht einmal die gründlichen deutschen Geheimdienste haben „die Mafia“ bisher überzeugen können, daß sie ihre Arsenale mit Nuklearmaterial aufrüsten muß. Bleiben die Nachfrage-Staaten, jene unheimlichen, wackligen Restregime der Kalten Kriegszeit wie Libyen, Nordkorea und Iran/ Irak: Sie haben schon immer Mittel und Wege gefunden, die Proliferation zu umgehen. Weniger gefährlich war das auch in den achtziger Jahren nicht. Wir Westeuropäer waren uns der Gefahr nur nicht bewußt. Daß Westeuropa aus seiner trügerischen Sicherheit aufgewacht ist, macht den Handelsweg über Deutschland nicht sinnvoller: Es gab und gibt risikoärmere Schmugglerpfade.
Der Jungksche Atomstaat mit seiner Totalüberwachung, seinen aufzurüstenden Geheimdiensten und Polizeibehörden – wie selbstverständlich akzeptiert ihn sogar Gerd Rosenkranz. Dabei ist diese Akzeptanz rein prophylaktisch. Denn was wissen wir wirklich über die Horrorfunde, die seit Wochen durch die Medien geistern? Nichts!
Tatsächlich gibt es in Deutschland eine Marktveränderung. Nicht fürs Nukleargeschäft, sondern in der Medienbranche. Seit das Fernsehen über die gedruckten Medien gesiegt hat, seit buntes Infotainment à la Focus den Spiegel spürbar Auflage kostet, triumphiert die Präsentation über die Recherche. Plutonium! Mafia! Russen! Schmuggel! Geheimdienst! Daraus läßt sich, nein, daraus muß man unter den heute deutlich schwierigeren Wettbewerbsbedingungen den Aufmacher basteln; und zwar sofort, seien die Nachrichtenquellen auch noch so fragwürdig. Das ist beim Spiegel nicht mehr anders als in Bild, in der Süddeutschen ebenso wie manchmal sogar in der taz.
Noch vor zwei, drei Jahren galten V-Leute von Geheimdiensten unter Journalisten aus guten Gründen nicht als zuverlässige Quelle. Schließlich wurden und werden sie dafür bezahlt und staatlicherseits gelenkt, daß sie bestimmte Informationen lancieren. Heute stören solche Bagatellen niemand mehr. Und wenn es um Rußland geht, helfen die Vorurteile, die sich anstelle der Kalten-Kriegs-Gewißheiten bestens bewähren. Man weiß ja, daß in Moskau alles den Bach runtergeht und jeder schlechtbezahlte Wissenschaftler nur auf die Gelegenheit wartet, a: Plutonium zu verkaufen, b: es zur Erpressung zu nutzen (3 Gramm ins Trinkwasser fallen lassen), c: Diktatoren zur Bombe zu verhelfen. Daß keines der Szenarien bisher eingetreten ist, liege – so heißt es dann – nur daran, daß die Verbrecher derartige Taten nicht veröffentlichen. Eben. Aber unsere Geheimdienste, – danke, BND! – klären auf; lückenlos und nichts und niemandem außer der Wahrheit und dem demokratischen Recht der Bürger auf Information verpflichtet.
So wird jeder Infoschrott ausgestrahlt und weggedruckt. Die Beispiele sind zahl- und aufschlußreich: Nach einer Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission „weiß“ der CDU-Abgeordnete Gerster von „Abnehmerstaaten“. Der FDP-Abgeordnete Hirsch blafft einen Tag später, daß Gerster wohl auf einer anderen Sitzung gewesen sein muß als er selbst – die „staatlichen Auftraggeber“ des Herrn Jäkle geistern trotzdem weiter durch den Blätterwald. In St. Petersburg wird ein Container gefunden, angeblich randvoll mit Uran. Der Inhalt entpuppt sich tags darauf als Stahlwolle. In Bremen will ein entlassener V-Mann einem verkrachten Journalisten Plutonium andrehen. Die Lieferung enthält Rauchmelder mit weniger Radionukliden als in jeder Krankenhausmülltonne auffindbar. Der BND hat keine Bedenken, Plutonium in einer Linienmaschine mitfliegen zu lassen – und hängt den Fund an die große Glocke, anstatt nach den Hintermännern zu suchen. Was Atomexperten insbesondere in Rußland ziemlich erstaunt.
Außer dem BND und der Bundesregierung weiß niemand, was am Plutoniumschmuggel eigentlich dran ist. Trotzdem glauben alle an den „neuen internationalen Nuklearmarkt“, weil das Gegenteil natürlich auch nicht zu beweisen ist. Ehe die tatsächlichen Hintergründe aufgeklärt sind – was vermutlich nie der Fall sein wird –, hat sich die Öffentlichkeit an Plutonium, möglichen Schmuggel oder das „Herumvagabundieren“ wunderbar gewöhnt. Tun muß eine Bundesregierung dann, siehe Klimakatastrophe, nichts mehr. Die Inszenierung ist perfekt, sie hat ihr Ziel bereits erreicht. Der Bürger versteht die ungeordnete blockfreie Welt ohnehin nicht mehr. Er entspannt sich, von periodischen, leichten Gruselschauern angenehm erregt, im Fernsehsessel. Infotainment total. Das Atomzeitalter, da hat Gerd Rosenkranz recht, ist heute einer von vielen Normalzuständen. Donata Riedel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen