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Archiv-Artikel

Anti-Hartz-Protest: Die „Überflüssigen“ besetzen ein Luckenwalder SPD-Büro Rote Jacken ja, rote Socken nein

Sie nennen sich die „Überflüssigen“, und für die medienwirksamen Aktionen tragen sie eine Uniform: rote Jacke, weiße Gesichtsmaske. Gestern waren die „Überflüssigen“, die in Berlin mit Besetzungen und Aktionen in Luxusrestaurants für Furore sorgten, im brandenburgischen Luckenwalde unterwegs. Sie besetzten vorübergehend das Bürgerbüro der Potsdamer Landtagsabgeordneten Esther Schröder (SPD). Unter den rund 20 „Überflüssigen“, die sich dabei von den Berlinern lediglich das Label borgten, befanden sich gestern vor allem Langzeitarbeitslose aus der Umgebung: Menschen zwischen 40 und 50, Väter und Mütter, die kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, für die Marktwirtschaft „überflüssig“ sind und von der schwarz-rot-gelb-grünen Hartz-IV-Koalition mit dem kümmerlichen Arbeitslosengeld II abgespeist wurden.

Die Wut darüber tragen die „Überflüssigen“ in Schröders Büro. „Versuchen Sie mal, von 331 Euro im Monat zu leben?“, ruft eine. „Nehmen Sie erst mal Ihre Maske ab!“, erwidert Schröder. Und: Mit ihrer Arbeitslosenberatung wolle sie gerade den Betroffenen helfen. Ein Aktivist kontert: „Der Missstand ist nicht die Arbeitsverwaltung, der Missstand ist das Hartz-IV-Gesetz.“ Darüber habe sie als Landtagsabgeordnete gar nicht abgestimmt, so Schröder. „Halten Sie doch mal die verschiedenen Ebenen auseinander!“

Trotz Masken erkennt Schröder ein paar der Aktivisten. Stimmen und Tonfall sind ihr von verschiedenen Veranstaltungen im Landkreis vertraut. Bei aller zur Schau gestellten Martialität – die Besetzung des Büros hat etwas Familiäres: Beide Seiten kennen sich, auch die Argumente, die in dem einstündigen Schlagabtausch gewechselt werden, sind nicht neu. Die „Überflüssigen“ prangern den „sozialen Kahlschlag“ der SPD an, fordern Mindestlöhne, eine auskömmliche soziale Grundsicherung für alle und Arbeitszeitverkürzungen; Schröder nennt die alten Systeme von Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Alternative zu Hartz IV: „Arbeitsmarktpolitik kann keine Arbeitsplätze schaffen.“

Nur einmal droht die – etwas ungewöhnliche – Gesprächssituation zu kippen. Schröder bezeichnet die Bürobesetzung als „PDS-Aktion“. Hintergrund sei, so Schröders Büromitarbeiter Lutz Schmidt, dass Schröder die geplante Diätenerhöhung im Potsdamer Landtag im Gegensatz zur PDS ablehne. „Völliger Quatsch“, sagen die Aktivisten. Die Diätendebatte sei ohnehin populistisch und lenke von den wirklichen sozialen Problemen ab.

Nach einer Stunde ziehen die friedlichen Aktivisten ab, und Schröders Team kann sich der Beratung eines Arbeitslosen widmen, der sich einen 1-Euro-Job wünscht. Er brauche das Geld und beschwert sich darüber, dass andere Arbeitslose schon mehrfach 1-Euro-Jobs gekriegt hätten, während er leer ausgehe.

Draußen auf der Straße ziehen sich die Aktivisten, die sich mit anderen immer noch jede Woche zur Anti-Hartz-Montagsdemo in Jüterbog treffen, die Masken vom Kopf. „Ist hier jemand von der PDS dabei?“, fragt eine. „Nee, ick hab nicht mal rote Socken im Schrank“, antwortet eine andere.

RICHARD ROTHER