: Anschauliche Frontverläufe: Zinn und Zinnlichkeit
Celle beherbergt die größte militärhistorische Sammlung Norddeutschlands. Meist schlummert sie im Archiv, derzeit jedoch paradieren 10.000 Zinnsoldaten im Schaukasten
Gewehrläufe zielen gegen gesenkte Lanzen. Der Abstand zwischen den feindlichen Armeen beträgt nur einige Pferdelängen. Kavallerie hoch zu Ross: Sie versucht, die feindliche Reihe aufzubrechen. Sprich: möglichst viele Feinde zu töten. Ehrenhafter Krieg? Der Kampf verläuft Mann gegen Mann. Wo die Munition fehlt, hilft das Bajonett nach.
In fünf großen Schaukästen bekriegen sich schnucklige Zinnfiguren – als Sonderausstellung im Celler Bomann-Museum. Unter dem Titel „Hannoversche Militärgeschichte“ sind Szenen aus der Vergangenheit des heutigen Niedersachsen zu sehen, von der Schlacht bei Drakenburg (1547) bis zum Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71.
Über die Hälfte der rund 10.000 metallenen Kameraden wurden eigens für die Ausstellung gegossen. Der Rest stammt aus Privatsammlungen meist älterer Leihgeber, wie Kurator Norbert Steinau erklärt. Ob er nicht befürchte, dass die Ausstellung gemischte Gefühle hervorrufe? Steinau, Abteilungsleiter für Landesgeschichte, hat da keine Bedenken. Auf den ersten Blick könne es vielleicht befremdlich wirken, dass die Celler Zinnsoldaten in der „Ehrenhalle der Hannoverschen Armee“ Stellung beziehen. Das riesige Prunkzimmer des Museums ist eine Spende von Wilhelm II. – inklusive eines martialischen Wandgemäldes und der prächtig verzierten Decke. Steinau traut den BesucherInnen aber zu, „die geschichtlichen Zusammenhänge richtig einzuordnen“. Und Krieg sei nun mal ein „integraler Bestandteil der Geschichte“: „Objektiv gesehen eignet sich die Ehrenhalle besonders gut für die Sonderausstellung.“
Also nichts mit geschichtsklitterndem Pathos? Allerdings auch wenig mit historisch-pädagogischem Mehrwert. Wer sehen will, wie der Krieg wirklich ausgesehen haben könnte, muss die Nase ganz nah ans Glas drücken. Dahinter tragen Soldaten verwundete Kameraden vom Feld, Leichen liegen herum. Mit viel Phantasie schreibt sich die eingefrorene Bewegung fort und eine Lanze bohrt sich durch eine Uniform.
Trotzdem trügt die Optik. Denn vormoderne Schlachten waren keineswegs farbenfrohe Spektakel mit fesch gekleideten Soldaten, angetan mit prächtigen Goldkordeln auf dunkelblauem oder rotem Stoff. Solche Paradeuniformen, wie sie den Zinnsoldaten aufgemalt sind, wurden niemals auf den Schlachtfeldern getragen. „Von Napoleon zum Beispiel weiß man, dass er im Gefecht eine einfache Jacke anhatte“, klärt Steinau auf.
Besonders unrealistisch ist das Celler Mini-Waterloo. Dabei war diese Schlacht, auch im wörtlichen Sinn, ausgesprochen dreckig: Auf dem Weg in das belgische Dorf mussten die Soldaten tagelang durch Schlamm marschieren.
Ist das Kriegsbeschönigung? Sind die Zinnparaden quasi Vorläufer der „sauberen“ Bilder aus dem Bosnienkrieg, die ausschließlich die „chirurgisch exakten“ Luftschläge der Nato zeigten? Steinau begründet die historischen Fehler seiner Heerscharen mit der Psychologie der Sammler, für die sie angefertigt wurden. Und die würden eben schicke Figürchen bevorzugen. So wie auch ein Museum lieber Paradeuniformen ausstelle. Vom Prinzip her gehe es in der Ausstellung auch nicht um Soldatenschicksale, sondern um Taktik. Steinau: „Zur Demonstration von Armeeformationen sind Zinnfiguren immer noch ein probates Mittel.“
Die BesucherInnen jedoch werden das Museum in aller Regel nicht schlauer verlassen, als sie es betreten haben. Ihnen hilft wenig, dass ein kompetenter Wissenschaftler verantwortlich zeichnet – wenn er nicht selbst die Führung übernimmt.
Das Bomann-Museum besitzt die größte militärhistorische Sammlung Norddeutschlands. Allerdings betont Steinau auch die Wichtigkeit, dass „nicht alles auf Militär reduziert“ werde. In der Tat bleiben die mehr als 200 Originaluniformen und anderen Ausrüstungsgegenstände, über die sein Haus verfügt, meist im Magazin – der eigentliche Schwerpunkt des Bomann-Museums liegt bei Stadtgeschichte sowie (mit zahllosen Haushaltsgegenständen) auf dem zivilen Alltag des 19. Jahrhundert. Und das auf satten 9.500 Quadratmetern. Axel Lerner
„Hannoversche Militärgeschichte“, bis 24. Oktober, Di–So 10–17 Uhr, Bomann-Museum Celle (Schlossplatz 7, Tel.: 051 41-123 72, www.bomann-museum.de)