Anmaßung und Mißverständnisse-betr.: "RAF - wie sie wurde, was sie ist" von Michael Sontheimer, taz vom 24.4.92

betr.: „RAF — wie sie wurde, was sie ist“ von Michael Sontheimer, taz vom 24.4.92

Sontheimer will uns weismachen, die RAF sei an ihrem Mangel an Diskussion und Theorie gescheitert; es fehlte ihr an Zentralorganen und Flugblättern, die andere Parteien(!?) in Massen eingesetzt hätten. Er läßt dabei aber das Selbstverständnis der RAF unter den Tisch fallen; demnach wollte sie weder eine parteiähnliche Struktur noch jeden ihrer Schritte vor der Öffentlichkeit rechtfertigen. Ihr Konzept der Guerilla schließt das völlig aus.

Anstatt beide Seiten im Krieg zwischen RAF und System kritisch zu betrachten, lamentiert Sontheimer über „verzweifelten Aktionismus“. Wie, wenn nicht verzweifelt, kann ein Überlebenskampf gegen eine faschistische Übermacht — nach RAFscher Sichtweise — sein? Daß der Staat sein Gewaltmonopol verteidigt, zeigt sich an der Ermordung, Isolationsfolter, Psychiatrisierung der Gefangenen und harter Repression außerhalb der Knäste.

Auch Sontheimers Kritik am Stil der RAF-Papiere bleibt einseitig. Er bemängelt ihre emotionalen, assoziativen Sätze, ihren hilflosen Aufschrei über die US-Greuel in Vietnam. Seine Forderung nach scharfer Analsye erscheint mir sehr viel menschenverachtender als die „Litanei“ der Gefangenen, die durch den Versuch, sie geistig und körperlich zu brechen, ständig am Rand ihrer Kräfte stehen. Aber die Menschen gehören für Sontheimer scheinbar nicht zur Geschichte der RAF, er beschränkt sich auf ihre Theorie. Er beklagt, ihre Unfähigkeit zu Selbstkritik, Trauer, Begründungen und so weiter.

Warum sollte sie denn ihre internen Diskussionen veröffentlichen? Widersprüche werden nicht ausgeräumt, wenn sie in der Presse breitgetreten werden. Warum gesteht sich der Autor nicht ein, daß er vor vielen Rätseln steht, sondern gießt seinen „billigen Spott“ über Kinderläden und „Bäckereien mit Basisdemokratie“ aus? Daß er derartige Selbstorganisationen in RAF-Nähe rückt, ist geradezu diskriminierend.

Er verdreht die Fakten auch beim angeblichen RAF-Stasi-Bündnis, das die bürgerliche Presse „aufgedeckt“ hat, um die RAF als Anhängsel des SED-Regimes herunterzuspielen. Der westdeutsche VS steht der Stasi in seinen Methoden nicht nach, doch das scheinen die angeblich schockierten Linken noch nicht entdeckt zu haben. Schluß mit dem Heroismus der 60 gegen die 60 Millionen! Sontheimer übernimmt das nicht nur bereitwillig, sondern phantasiert auch über eine Billigung dieser — sicherlich existenten — Verbindung durch die heutige RAF. Er interpretiert das zusammenhanglos in ein Zitat hinein, das sich jedoch mit den Folgen des Zusammenbruchs des Sozialismus befaßt. Er erwähnt nicht, daß sich die Zahl der Opfer des Kapitalismus vergrößern wird, da es den Menschen im Osten durch die Profitgier der westlichen Industriemächte immer schlechter geht. Eine Wurzel der RAF war tatsächlich das Dritte Reich. Der Zusammenhang liegt aber darin, daß die BRD als Nachfolgerin von Hitlers Staat faschistische Elemente beibehielt. Nicht nur das Personal des Staatsapparates (zum Beispiel in der Justiz) blieb das gleiche, auch der Kampf gegen Andersdenkende wird fortgeführt. Subtiler und deshalb um so wirkungsvoller.

Sontheimer läßt sich über das Versagen siegreicher Befreiungsbewegungen aus, vernachlässigt aber die Ursachen. Die Machtverhältnisse in der Welt (UNO, Weltbank, und so weiter) werden von westlichen Staaten beherrscht. Damit war die Regierung von revolutionären Gruppen zum Scheitern verurteilt. Auch wenn er versucht, objektiv zu sein, zeugen Sontheimers Anmerkungen von Anmaßung und Mißverständnissen. Die tazschen Halbwahrheiten sind auch nicht besser als die der bürgerlichen Presse. Bettina Engelmann