Anja Maier Bauernfrühstück: Als Margot Honecker ihr lila Haar durch Berlin balancierte
Sonntagabend, die stille Stunde der Brandenburger bricht an. Pink und orange sinkt die Sonne herab und bescheint die mageren Kiefern, die ihre Schatten über menschenleere Wege werfen. Der Mann und ich sitzen auf der Terrasse und genießen die Ruhe. Das ganze Wochenende über hatte ausflüglerisches Rauschen in der Brandenburger Luft gelegen. Juchzende Kinder, die in den nahen See sprangen, jede Menge Motorboote, Paddelboote, Dampfer. Abends dann Kindertechno und Jungmänner, die ihre Gefühle in die Nacht brüllten. Der Mensch, er will sich entäußern in der freien Natur, zumal wenn sie so schön ist wie in der Provinz.
Erst jetzt, am Sonntagabend, sind wir Dörfler wieder unter uns. Links hören wir unsere betagten Nachbarn miteinander erzählen. Rechts ist es still. Die Krachschläger sind zurück nach Berlin gefahren. Erst nächstes Wochenende werden sie wieder auf unseren Nerven herumtrampeln.
Diese Stille, dieses Fehlen von Kinderstimmen und Familienlärm, ist natürlich schön. Es bedeutet aber auch, dass im Osten einfach zu wenige Jüngere leben. Das wären idealerweise Leute, die für frische Ideen sorgen könnten, für Vereinsleben, Biomärkte und endlich mal anständige Fahrradwege. Aber sie fehlen. Und weil sie fehlen, findet in vielen Gegenden Ostdeutschlands die Politik der Alten statt. Wenn in unserer Nachbarschaft Einschulung gefeiert wird, sitzen da zehn Erwachsene um ein einzelnes Kind herum. Das Kind hüpft allein in seinem Gartentrampolin, während die Erwachsenen Biere trinken und sich über früher unterhalten, als es so was Beklopptes wie Schreiben nach Gehör noch nicht gab und Margot Honecker ihre lila Haare durch Ostberlin balancierte.
Mir fällt jene Bekannte ein, die – Jahrgang 1978 – durch historische Fügung zur Nachwendejugendlichen geworden war. Ihre duale Ausbildung nach dem Abitur in einer Stadt kurz vor Polen hatte damals ein kommunales Unternehmen gestemmt. Bafög, Studiengebühren, sogar die Monatskarte zur Hochschule in Berlin hatten sie ihrer Nachwuchshoffnung bezahlt. Als die dann ihr Zeugnis in den Händen gehalten hatte, war gerade Hartz IV über das Land hereingebrochen. Zukunft im Osten? Eher nicht.
So sah das damals auch die Landesregierung. Nicht faul, zahlte sie jedeR jungen BrandenburgerIn 5.000 Mark auf die Kralle, vorausgesetzt, er oder sie war bereit, das sandige Land zu verlassen. Nachwuchs, Jugend, Ideen – wer braucht so was schon, dachten sich die Sozialdemokraten.
Die Fünftagevorschau
Do., 6. 6.
Hannah Reuter
Blind mit Kind
Fr., 7. 6.
PeterWeissenburger
Eier
(auf taz.de)
Mo., 10. 6.
Mithu Sanyal
Mithulogie
(auf taz.de)
Di., 11. 6.
Doris Akrap
So nicht
Mi., 12. 6.
Franziska Seyboldt
Psycho
kolumne@taz.de
Die junge Dame nahm das Geld, bewarb sich bei einer Bank im Westen, arbeitet dort bis heute und schaut mit Mann und Kind zu Ostern und zu Weihnachten mal im Brandenburgischen vorbei. So viel zur Ruhe an ostdeutschen Sonntagabenden. Und liebe Grüße an meine eigenen Töchter, die Brandenburg ebenfalls beizeiten verlassen haben. Weihnachten ist übrigens in sechs Monaten.
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