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Angst vor einer Giftmüllkatastrophe

Im Heilbronner Salzbergwerk kam es zu einem Felsabbruch. 700 Tonnen Gestein fiel auf eingelagerten Sondermüll. Seitdem geht im württembergischen Unterland die Angst vor einer Umweltkatastrophe um. Kein Grund zur Sorge, beteuern Bergwerksbetreiber und Aufsichtsbehörde: die Untertagedeponie für Millionen Tonnen Giftmüll ist die nächsten 10.000 Jahre sicher

von Jürgen Lessat

Keiner weiß, wann genau es in den Tiefen des württembergischen Unterlands rumpelte. Sicher ist nur, dass sich Untertage im Heilbronner Salzbergwerk ein gewaltiger Firstabbruch ereignete. Rund 700 Tonnen Gestein polterten von der Decke der Kammer „NW 390 Süd“ des Bergwerks. Entdeckt wurde der Vorfall in rund 200 Meter Tiefe Anfang des Jahres von Grubenarbeitern, als sie die Kammer öffneten. Die Lagerstätte war Anfang der 90er-Jahre zugemauert worden.

Ans Licht der Öffentlichkeit gelangte die Neuigkeit vom unterirdischen Felsabbruch jedoch erst Wochen später. Nicht durch den Eigentümer des Schachts, die Südwestdeutsche Salzwerke AG, und auch nicht durch das Heilbronner Rathaus. Vielmehr berichtete die Schweizer Publikation „Beobachter“ erstmals darüber. Das Verbrauchermagazin schilderte Sicherheitsbedenken, die das eidgenössische Umweltamt nach dem Abbruch gegenüber der unterirdischen Lagerstätte hege. Denn die Felsbrocken, die rund 30 Lastwagen füllen, waren auf tausende Kunststoffsäcke mit giftigen Filterstäuben gelandet. Diese „Big Bags“ sind in diesem Bergwerksteil in den Kammern gestapelt – zur Endlagerung, also für immer.

Der „Beobachter“-Bericht löste vor Ort Alarm aus. Die Angst vor einer Umweltkatastrophe geht seither um. Denn seit dem Jahr 1987 wird der ausgebeutete Teil des Salzbergwerks als Untertagedeponie genutzt. Was nach harmloser Müllentsorgung klingt, ist tatsächlich ein Endlager für Problemstoffe. Der abfallrechtliche Planfeststellungsbeschluss vom 11. August 1998 liest sich wie die Inventarliste eines Giftschranks. Rund 500 verschiedene Abfallsubstanzen aus der industriellen Produktion, der Müllverbrennung und von oberirdischen Deponien dürfen im Salzstock eingelagert werden. Unter den erlaubten Stoffgruppen sind fast 200 hochgiftige Substanzen, darunter Hochofenschlacken, Asbestabfälle, Arsenverbindungen und zyanidhaltiger Galvanikschlamm. Mit Einzelgenehmigung ist auch die Einlagerung krebserregender Altbestände von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln, PCB-haltiger Mineralöle und verunreinigter Laborrückstände möglich. Sie sollen dort für die nächsten 10.000 Jahre sicher verwahrt sein.

Inzwischen lagern unter Heilbronn nach Auskunft des Freiburger Bergamts rund 13 Millionen Tonnen Müll. 1,3 Millionen Tonnen davon sind hochgiftige Abfälle. Darunter auch 2.292 Tonnen leicht radioaktive Rückstände aus deutschen Kernkraftwerken, wie erst durch Recherchen örtlicher Umweltschützer bekannt wurde. Jährlich liefern Güterzüge und Lastwagen 800.000 Tonnen Abfall aus Süddeutschland und der Schweiz an.

„Dort unten tickt eine gigantische Zeitbombe, seit das Salzbergwerk zu Europas größter Giftmülldeponie ausgebaut wird“, sagt Eberhard Jöst, dessen Wohnhaus im Heilbronner Stadtteil Neckargartach über dem Stollensystem steht. Für den pensionierten Gymnasiallehrer ist das Vertrauen in den Nachweis der Langzeitsicherheit, Voraussetzung zur Genehmigung der Müll-Endlagerung, erschüttert. „Das Bergwerk ist eine große Gefahr für die Bevölkerung“, befürchtet Jöst, dass der Salzstock instabil ist. Sollte es so sein, drohen die Giftstoffe das Grundwasser und damit die Trinkwasserversorgung im Unterland zu verseuchen.

„Was tatsächlich den Abbruch verursacht hat, wurde der Öffentlichkeit bislang verschwiegen“, kritisiert Gottfried May-Stürmer vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). „Die geologischen Profile zeigen im Bereich der betroffenen Kammer Verwerfungen“, so der BUND-Regionalgeschäftsführer. Zudem variiere die Mächtigkeit der Steinsalzschicht gerade in der Abbruchregion deutlich, teilweise sei sie nur etwa 25 Meter mächtig. Wo sich Gestein bewegt, sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Wasserströme auftreten. Mit detaillierten Fragen hatte sich May-Stürmer bereits Anfang Juni an das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau gewandt. Auf eine Antwort der am Regierungspräsidium Freiburg angesiedelten Aufsichtsbehörde musste er bis Mitte Oktober warten. In dem dürftigen Schreiben betonte die Behörde nur, dass man keine Gefährdung der Untertagedeponie sehe. Konkretere Auskünfte seien erst nach einer „ersten Besprechung zu den bisherigen Ergebnissen intensiver geologischer und geotechnischer Untersuchungen“ möglich.

Die hat inzwischen stattgefunden. Am 25. Oktober kam ein Expertengremium in Heilbronn zusammen, um die Ergebnisse zu diskutieren. Die zwölfköpfige Runde, der neben Vertretern der Salzwerke und des Bergbauamts auch ein Vertreter der Schweizer Bundesumweltamts angehörte, kam zu dem Schluss, dass die Stabilität der Untertagedeponie weiter gewährleistet ist. „Das Gestein folgt der natürlichen Statik“, erklärt Joachim Müller-Bremberger, Sprecher des Freiburger Regierungspräsidiums, auf Kontext-Anfrage den Firstabbruch. Das Kammergewölbe habe sich so eingestellt, dass es sich künftig selbst trägt, gibt er das Ergebnis der Diskussion unter Fachleuten wider. Die Südwestdeutschen Salzwerke AG, die der Stadt Heilbronn und dem Land Baden-Württemberg gehören, können somit weiter Untertage deponieren.

Platz für Müll und Versatzstoffe gibt es im Heilbronner Bergwerk und in der benachbarten Grube Kochendorf noch genug. In beiden Bergwerken sind über 800 Kilometer Stollen unter Tage im Salz entstanden. Die Hauptwege gleichen einer Autobahn im Dunkeln. Allein im Bergwerk Heilbronn sind über 1.000 Salzkammern ausgebeutet, die zwischen 10 und 20 Meter hoch und jeweils 200 Meter lang sind. Die Hohlräume unter Tage haben inzwischen ein Volumen von 60 Millionen Kubikmeter. In sie passen noch Hunderttausende Fässer und Big Bags mit Giftstoffen.