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Andreas Rüttenauer Russia TodayKunstrasen und HipHop: Moskau ist eine Promofläche

Noch wird Fußball gespielt in der Stadt. Beinahe überall, wo ein wenig Platz ist in der Innenstadt Moskaus, gibt es einen Kunstrasenplatz oder einen kleinen Käfig, in dem die Jugend der Stadt kicken soll, damit das Werbeevent für die Firma mit den drei Streifen authentisch daherkommt. Auf dem Roten Platz ist das so und in den meisten Fußgängerzonen auch. Im Gorki-Park lässt der Sportartikelausrüster einen Wettbewerb ausspielen, der „Tango League“ heißt. Dafür hat er eine Stahlrohrtribüne vor das Ufer der Moskwa gesetzt. Dazu läuft HipHop der billigsten Sorte.

„Nein, das ist nicht immer so, Gott sei es gedankt“, sagt die Frau, die im Stadtmuseum am Ticketschalter sitzt. Sie sieht nicht glücklich aus, wenn sie über das Fußballevent vor ihrem Arbeitsplatz spricht. Auch in die Gebäude des Stadtmuseums hat man für die WM einen Riesenfanshop mit angeschlossenem Fußballplatz gesetzt, „Creators Base“ genannt.

Eigentlich arbeitet die Frau in einer recht ruhigen Umgebung. Das Moskau-Museum besteht aus drei Gebäudekomplexen aus dem Jahre 1835, die dem Heer des Zaren als Zweckgebäude dienten. Der Innenhof war ein Exerzierplatz. Jetzt wird da zu miesem HipHop gekickt. Auch eine der großen Ausstellungshallen ist vom Fußballkommerz besetzt worden. Dort kann man sich ein Trikot beflocken lassen, ganz individuell, wie es heißt. In die Stadtgeschichte, der das Haus eigentlich gewidmet ist, wird das Event wohl nicht eingehen.

„Da können Sie schon reingehen, das sind so Bilder über Sport. Müssen Sie aber nicht.“ So richtig Werbung macht die Dame am Schalter nicht für die Ausstellung mit Sportgemälden. Wie viele Kulturorte der Stadt wanzt sich auch das Moskau-Museum an den Fußball heran. Und die Frau hat recht. Die Bilder muss man wirklich nicht gesehen haben. Gemalte Strafraumszenen, mehr ist das nicht. Gut geeignet für einen schönen Platz über dem Schreibtisch eines Fifa-Präsidenten, aber keine große Kunst.

Die gibt es aber auch in dem Museum. „Uniformen der Moskauer Jugend“, heißt eine Ausstellung, in denen zeitgenössische Künstlerinnen Installationen zum Alltag in Moskau in Räumen aufgebaut haben, an deren Wände Fotos von Juri Gawrilow aus den Jahren von 1980 bis 1990 hängen. Sie zeigen die Moskauer Jugend in den Umbruchjahren auf ihrer Suche nach Individualität. Es sind beeindruckende Bilder einer wilden Zeit, in der es großen Mut erforderte, anders sein zu wollen als andere.

Das ist heute nicht mehr so. Individualität gibt es für ein paar hundert Rubel. Man bekommt sie direkt im Museumskomplex. „Gestalte dein Trikot!“, heißt es da. Danke, Adidas!

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