■ Anderswo kämpfen Frauen nicht um Quoten, sondern um ihr Leben: Eure Sorgen ...
Quotenregelung, Recht auf Arbeit, Recht auf Führungspositionen, Zugang zu politischen Schlüsselstellungen – eure Sorgen möchte ich haben. Wir hier kämpfen darum, überleben zu dürfen. Weil sie Hunderte von uns umbringen, nur weil wir keinen Schleier tragen wollen oder uns dem Mann verweigern, den andere für uns ausgesucht haben. Oder wir kämpfen darum, unsere Kinder vorm Verhungern zu retten, weil euer Kapitalismus unsere Lebensgrundlagen zerstört hat oder Regierungen fördert, die Entwicklungshilfe für ihre Autoparks und Swimmingpools verbraten.
Quotenregelung. Es fällt schwer, nicht sarkastisch zu werden und etwa zu sagen: Wir wünschen uns Quoten, nach denen nicht jedes zweite, sondern nur jedes dritte Kind am Hunger stirbt. Oder Quoten, nach denen nur jede zweite Frau von den angeblichen Gottesmännern und Hütern heiliger Gesetze vergewaltigt oder für Lächerlichkeiten ihr Leben lang durch Peitschenhiebe gezeichnet wird. Frauen aus Asien wünschen sich, daß zumindest jede zweite von ihnen nicht zu Arbeiten gezwungen wird, bei denen sie ihre Gesundheit meist schon vom siebten, achten Lebensjahr an so schädigt, daß sie allenfalls 30, 35 Lebensjahre erreicht. Das wären andere Vorstellungen von Quoten. Statt Quoten für den Zugang zur Arbeit würden sie sich Quoten wünschen, die sie von dieser Art Arbeit befreien.
Verzeiht, daß ich so bitter bin. Aber bei einer Reise, die mir italienische Freunde nach Deutschland bezahlt haben, kam ich gerade an jenem Tag an, an dem das Quotenurteil verkündet worden war. Statt über die Verfolgung algerischer Frauen durch Fundamentalisten zu sprechen, mußten wir uns über den Europäischen Gerichtshof unterhalten und Strategien ausdenken, wie Deutschlands und andere europäische Frauen doch noch zu ihren Quoten auf den Wahllisten und in den Großkonzernen oder im Staatsdienst kommen können.
Erst am ende entdeckten sie mich wieder, zusammengekauert in einer Ecke und nicht mehr fähig, zuzuhören. Eine der Frauen streichelte mich und sagte dann: „Weißt du, du mußt verstehen, all das sind unheimlich wichtige Dinge auch für dich und die Frauen in deinem Land.“ Ich sah sie verständnislos an, da sagte sie: „Aber das dauert noch, bis du das verstehen kannst, das ist mir klar.“ Ich umarmte sie und sagte: „Vielleicht, vielleicht. Aber vielleicht kommt auch der Tag, wo ihr uns verstehen lernt.“ Viel Hoffnung habe ich allerdings nicht. Sheila Amir
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