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Archiv-Artikel

Andere Rechtsmaßstäbe

betr.: „Widerliche Geschichte“, taz vom 30. 5. 08

Herr Ramelow sagt über Herrn Gysi: „Was sollte er denn zugeben? Dass er als Anwalt ins System involviert war? Hat er immer zugegeben. Und dass diese Funktion in einer Diktatur des Proletariats nicht mit unseren Rechtsstaatsmaßstäben zu bemessen ist, da sind wir uns doch einig, oder?“ Man staunt. Würde Herr Ramelow über den verstorbenen Kurt Georg Kiesinger womöglich auch sagen: „Dass er als Marinerichter ins System involviert war? Hat er immer zugegeben. Und dass diese Funktion in einem Krieg nicht …“ Es geht eben genau darum: Relativiert der äußere politische Rahmen das Verhalten eines Anwalts oder Richters? Dann ist Gysi exkulpiert, aber die Kiesingers dieser Welt auch. Oder es gelten unsere rechtsstaatlichen Maßstäbe auch rückwirkend.

Es fällt im Übrigen auf, dass Vertreter der alten SED gerne formalistisch argumentieren, wenn es um geheimdienstliche Überwachung und Stasi-Vorwürfe geht. Da wird nicht etwa gesagt, einer habe sich nichts zuschulden kommen lassen und sei ein anständiger Mensch, vielmehr führt man gerne an, dass es nicht angehe, Abgeordnete einer Partei zu überwachen, die doch ins Parlament gewählt worden sei.

Die SED ist eine Partei, die sich auf die militärische Präsenz der Sowjetunion gestützt hat, um sich gegen den Willen der Bevölkerung an der Macht zu halten. Dass ihre Nachfolger einschließlich Ramelow und Gysi das nie auch nur ansatzweise zugegeben haben, ist der eigentliche Skandal. ADRIAN DUNSKUS, München