■ Amtsgericht: Bermudadreieck Briefkasten
Sören G. ist 23 Jahre alt und hat noch drei Monate Wehrdienst vor sich. Nach der Zahl der Ohrringe an seinem linken Hörorgan zu schließen, verbringt er einige freie Zeit damit, den Schmuck nach dem Verlassen der Kaserne an- und vor der Rückkehr wieder abzulegen.
G. steht vor Gericht, weil er seinen Einberufungsbescheid vom Januar vergangenen Jahres, der ihn zu Anfang April zur Truppe nach Lüneburg rief, ignoriert und sich erst mit viereinhalbmonatiger Verspätung zum Dienst gemeldet hat.
Den Bescheid, sagt Sören, habe er nicht erhalten. Ebensowenig einen Zettel, der ihn auf das im Postamt wartende Schreiben hinwies. Und schon gar nicht einen erneuten Brief vom Kreiswehrersatzamt, der ihn aufforderte, das Schreiben endlich abzuholen.
„Was haben Sie denn für einen Briefträger?“ fragt der Richter grinsend. „Hm, weeß ick nich. Aber wir ham 'nen Gemeinschaftsbriefkasten. Der muß immerhin die Post für eine Dreier-WG verkraften.“
Anfang August bekommt G. unerwarteten Besuch von einigen Feldjägern. Erst da habe er erfahren, daß er bei der Bundeswehr ist. Mitkommen will er allerdings nicht, denn er hatte sich zu der Zeit zusammen mit einem Kumpel im Innenausbau selbständig gemacht und noch einige Aufträge zu laufen.
„Da konnte ich ja nicht einfach auf dem Hacken kehrtmachen. Da geht es ja um Geld. Zwanzig-, dreißigtausend Mark sind da gleich weg. Und ich habe gedacht, daß ich da gleich erst mal die vollen 21 Tage in den Knast gehe.“
Zehn Tage später war G. bereit, seine vaterländische Pflicht zu erfüllen. Die verspätete Einsicht wird mit sieben Tagen Arrest bei der Bundeswehr und einem Strafverfahren belohnt.
Die Staatsanwältin will den „Nachahmungseffekt in der Truppe“ minimieren; sie fordert daher einen dreimonatigen Freiheitsentzug auf drei Jahre Bewährung. Der Richter indes hat ein Einsehen.
Da der junge Mann den Wehrdienst ja nicht grundsätzlich, sondern „quasi nur auf Zeit“ abgelehnt hat, hält er zwei Monate für ausreichend, die jedoch, wenn G. in den nächsten drei Jahren wieder straffällig wird, bei der Bundeswehr abgesessen werden müssen. Und das, sagt der Amtsrichter, sei nicht so angenehm. Annette Fink
Wird fortgesetzt
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