■ Am Ende war es bei der Nominierung der EU-Kommissare wie immer. Lediglich bei der Ressortverteilung hatte Romano Prodi etwas Spielraum Von Daniela Weingärtner: Ein König ohne Reich
Eines läßt sich jetzt schon sagen: Schnell ist er, Romano Prodi, der Neue aus Italien. Als der designierte EU-Kommissionspräsident gestern seine neue Mannschaft vorstellte, hatte er ihre Portefeuilles, die eigentlich erst für nächste Woche angekündigt waren, schon fertig.
Immer wieder war Prodi in den vergangen Wochen die Gretchenfrage gestellt worden: Wie hältst du's mit der Eigenständigkeit der Kommission? Stets hatte er salomonisch gelächelt und angedeutet, daß sich am Ende alle noch wundern würden. Dem Diktat der Mitgliedsländer würde er sich – anders als seine Vorgänger – nicht mehr unterwerfen. Die neuen Rechte, die der Amsterdamer Vertrag ihm bietet, würde er voll ausschöpfen.
Am Ende aber ist alles gelaufen wie jedesmal. Die Mitgliedsländer haben ihren Postenstreit intern ausgetragen und Prodi mit einem Friß-oder-stirb-Gestus die Namen präsentiert. Sein Spielraum bestand nur noch darin, für vorgegebene Kandidaten ein halbwegs passendes Ressort zu finden. Diesen Spielraum hat er allerdings geschickt genutzt.
Beispiel eins: Frankreich. Gerne hätte Prodi Yves-Thibault de Silguy, der in der Santer-Kommission als Währungskommissar geschätzt war, behalten, während er sich von Edith Cresson natürlich ohne Bedauern verabschiedet hat. Paris aber diktierte ihm zwei neue Gesichter: Michel Barnier, der ehemalige neogaullistische Europaminister, wurde von Staatspräsident Jacques Chirac protegiert.
Premierminister Lionel Jospin schickte Pascal Lamy, der 1985 bis 1994 als Kabinettschef unter Jacques Delors schon Erfahrungen in Brüssel gesammelt hat. Sein Name wird in Brüssel mit dem Skandal um den internen Sicherheitsdienst der EU-Kommission in Verbindung gebracht. Mit dem ihm übertragenen Portefeuille setzte Prodi aber doch einen eigenen Akzent: Er nutzte Lamys gute Kontakte nach Japan und in die Vereinigten Staaten und gab ihm das Handelsressort, auf das sich Günter Verheugen Hoffnungen gemacht hatte.
Beispiel zwei: Deutschland. Die Personalvorschläge Verheugen und Schreyer akzeptierte Prodi, obwohl er an Schreyers fachlicher Eignung mehrfach Zweifel angemeldet hatte. Er gab ihr aber nicht das gewünschte Schlüsselressort Wirtschafts- und Finanzpolitik – also alles, was den Euro betrifft –, sondern nur die Zuständigkeit für den kleinen EU-Haushalt.
Als Bonbon erhielt Schreyer aber die Zuständigkeit für die Korruptionskontrolle. Günter Verheugen betraute Prodi mit der Osterweiterung, obwohl mehrere Mitgliedsländer davon abgeraten hatten, einen Deutschen gerade in einem Bereich einzusetzen, wo deutsche Handelsinteressen besonders groß sind.
Wirtschafts- und Finanzpolitik ging an den 56jährigen spanischen Sozialisten und ehemaligen Finanz- und Wirtschaftsminister Pedro Solbes. Die Spanierin Loyola de Palacio erhielt nicht das angestrebte Landwirtschaftsressort. Sie soll sich vielmehr um die Beziehungen zum Parlament, um Verkehr und Energie kümmern. Mit einem politischen Kontrahenten aus ihrer Zeit als Landwirtschaftsministerin wird sie künftig am Kommissionstisch sitzen: Franz Fischler bleibt Landwirtschaftskommissar. So haben sich die Österreicher auf ganzer Linie durchgesetzt. Bundeskanzler Viktor Klima hatte Prodi erklärt, er werde Fischler nur dann wieder ins Rennen schicken, wenn der das Landwirtschaftsressort behalten könnte.
Beispiel drei: Großbritannien. Die britischen Kandidaten Chris Patten und Neil Kinnock konnte Prodi nur noch abnicken. Er setzte aber den ehemaligen Gouverneur von Hongkong dort ein, wo er die meiste Erfahrung mitbringt: im Außenressort. Neil Kinnock, der bereits in der Santer-Kommission anerkannte Arbeit als Verkehrskommissar geleistet hatte, machte er zum Vize und betraute ihn mit einer zentralen Aufgabe: der Strukturreform der Kommission.
Daß Prodi fest entschlossen ist, die Kommission neu zu organisieren, sie transparenter und wirkungsvoller zu machen, betonte er auf seiner gestrigen Pressekonferenz ein weiteres Mal. Mit dem neuen Zuschnitt der Ressorts hat er bereits einen großen Schritt in die richtige Richtung getan. Kompetenzüberschneidungen, die in der Vergangenheit große Probleme machten, gibt es nicht mehr. Gemischtwarenläden wie Christos Papoutsis Ressort für Energie, Euratom und Fremdenverkehr gehören nun der Vergangenheit an.
Nun darf man gespannt sein, ob der Italiener genug Stehvermögen besitzt, um seine weiteren Reformvorhaben durchzusetzen. Wie wenig eigene Gestaltungsmöglichkeiten ihm die kleinliche innenpolitisch geprägte Herangehensweise der meisten Mitgliedsländer lassen, zeigt das Beispiel des kleinsten EU-Landes Luxemburg.
Wenigstens hier wollte Prodi einmal mit der Faust auf den Tisch hauen. Da er in Deutschland mit seiner dringenden Bitte nach einem christdemokratischen Kandidaten nicht durchkam, stellte er Claude Juncker ein Ultimatum: Luxemburg muß eine Frau aus der CSV schicken. Denn auch mit seinem Versprechen, für Geschlechterausgewogenheit in der Kommission zu sorgen, war Prodi im Rückstand. Am Ende legte das Großherzogtum vier Vorschläge auf den Tisch, nur einer entsprach den Kriterien weiblich und christsozial – Viviane Reding.
Die Journalistin, die für die CSV im Europaparlament saß und regelmäßig für das konservative Letzeburger Wort schreibt, ist in Luxemburg umstritten, weil sie ihre Pressekarte in der Zeit als Europaabgeordnete partout nicht abgeben wollte.
Die ehrgeizige Karrierefrau unterhält – was in Luxemburg wichtig ist – enge Kontakte zum Erzbischof, weniger gute zu ihrem Parteikollegen und Regierungschef Jean-Claude Junkker. Die Luxemburger Spatzen pfeifen von den Dächern, daß er ganz froh ist, die ungeliebte Politikerin an Prodi loszuwerden. Der soll nach einem ersten Treffen in Brüssel nicht glücklich über die Auswahl gewesen sein und nachgefragt haben, ob es nicht eine andere konservative Frau sein könnte.
Da aber schlug Juncker mit der Faust auf den Tisch und machte dem designierten Kommissionspräsidenten Prodi klar: Reding oder keine.
Lediglich bei Luxenburg traute Prodi sich, mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Und das auch noch vergeblich.
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