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taz FUTURZWEI

Altenrepublik Deutschland Ehret die Jungen!

Die Jugend sei zukunftspessimistisch, staats- und politikverdrossen und AfD-geil, heißt es. Falsch. Es sind die Alten, die Zukunft verhindern, schreibt Udo Knapp in seinem Kommentar für taz FUTURZWEI.

Bloß nicht bewegen: Es sind nicht die Jungen, die gesellschaftlichen Wandel bremsen Foto: Mykyta Martynenko/Unsplash

taz FUTURZWEI | Sie sei faul, hänge immerzu am Handy, lebe in den Parallelwelten der sozialen Medien, sei pessimistisch, wähle AfD und BSW, sei staats- und politikverdrossen und von denen da oben halte sie gar nichts. So lautete die jüngste Erzählung über „die Jugend.“ Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann attestierte den heutigen 15- bis 30-Jährigen in diesem Frühjahr einen „deutlichen Rechtsruck“. Nach den Landtagswahlen im Osten schien sich das mit bis zu 38 Prozent Zustimmung für AfD und BSW zu bestätigen. Seither gibt es zunehmend Befürchtungen, die Jugend gehe der Demokratie von den Fahnen.

Doch nun wurde die Ergebnisse der 19. Shell Jugendstudie veröffentlicht. Diese Studie wird seit 1953 regelmäßig mit Daten aus einem nur geringfügig veränderten Fragenkatalog erhoben. Sie ist der zuverlässigste, wissenschaftliche Indikator für die Selbstsicht der jeweils Jungen in ihrer Zeit. Das Ergebnis der Studie von 2024: Die große Mehrheit dieser Generation liebt und lebt die Demokratie.

55 Prozent (gegenüber 34 Prozent 2002) der Jugendlichen bezeichnen sich als politisch interessiert. Angst machen ihnen der Krieg in Europa (81 Prozent) und steigende Armut (57 Prozent). Die Angst davor, keinen Ausbildungsplatz zu finden, ist mit nur 34 Prozent auf dem tiefsten Stand seit 1953 angekommen. 56 Prozent blicken positiv in die Zukunft, 52 Prozent sehen für sich persönlich gute Aussichten. 60 Prozent verlangen eine Bestrafung Russlands für den Angriffskrieg auf die Ukraine. 58 Prozent haben Angst vor Ausländerfeindlichkeit, nur 33 Prozent sorgen sich wegen zu hoher Zuwanderung. Fast 80 Prozent halten den Klimawandel für menschengemacht. Nur 28 Prozent meinen, er würde in der Öffentlichkeit als übertrieben dargestellt. Auf der 1-10-Skala ihrer politischen Einstellungen von links bis rechts, sehen sie sich, wie seit vielen Jahren, bei einem Mittelwert von 5,3.

Mit der Demokratie sehr zufrieden

75 Prozent finden, die Bundesrepublik biete ihnen alle Möglichkeiten, ihre Lebensziele zu verwirklichen. 57 Prozent sind dafür, Geflüchtete aufzunehmen. Nur 20 Prozent lehnen die EU ab. Nur 18 Prozent glauben, dass es Konflikte gibt, die nur mit Gewalt gelöst werden können. 75 Prozent (im Osten 60 Prozent) sind mit der Demokratie sehr zufrieden. Zwischen 12 und 20 Prozent kritischer und unzufriedener Jugendlicher seien offen für populistische Angebote, sähen sich als Modernisierungsverlierer. Die Große Mehrheit der Befragten erklärt, die Corona-Pandemie habe ihrer Entwicklung kaum geschadet, Langzeitfolgen seien kaum zu spüren.

Auch wenn man nicht in die oben erwähnten Abgesänge eingestimmt hat, so erstaunt dieser positive Blick der Jungen auf ihre und unsere Lebenswelt dann doch.

Im Jahr 2021 waren gerade mal 8,1 Millionen der Gesamtbevölkerung (10 Prozent) zwischen 15 und 24 Jahren alt, während von knapp 60 Prozent der Wahlberechtigten über 50 alt waren. Soll heißen: Die Bundesrepublik ist eine Republik der Alten. Sie dominieren mit ihren Interessen die Politik. Die Jungen kümmert diese Dominanz der Alten offenbar nicht. Sie bewegen sich zukunftsoffen in ihren Alterskohorten. Sie nutzen ihre Chancen auf allen Ebenen. Unspektakulär, aber konsequent haben Frauen ihren Weg zu gesellschaftlicher Macht fortgesetzt. Im Jahr 2022 wurde nach einer Studie der OECD 60 Prozent aller akademischen Abschlüsse von Frauen gemacht. Ihr Erfolg wird vieles verändern. In der digitalen Revolution, beim Durchsetzen von KI und auch bei deren Einhausen in verfassungsfeste Strukturen sind die Jungen schon lange ohne die Alten unterwegs, die davon nichts mehr verstehen. Die Jungen nehmen anscheinend auch tendenziell unkompliziert die Herausforderungen der Klimakrise an und sind bereit, sich an ein Leben ohne die Verluste und den Luxus fossiler Brennstoffe anzupassen.

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taz FUTURZWEI – das Magazin, Ausgabe N°30: Wer ist das Volk? – Und warum ist Rechtspopulismus so populär?

Warum der Rechtspopulismus global und in Ostdeutschland so erfolgreich ist, können wir analysieren. Wie man ihn bremsen kann, ist unklar.

Diesmal im Heft: Jens Balzer, Ines Geipel, Jagoda Marini , Maja Göpel, Aladin El-Mafaalani, Thomas Krüger, Yevgenia Belorusets, Danyal Bayaz und Harald Welzer. Veröffentlichungsdatum: 10. September 2024.

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Eine Mahnung an die Alten

Den Alten, dagegen, und die ihnen aus Machtgründen willfährigen Politiker verbreiten die seit Jahrhunderten immer gleichen Erzählungen über die angeblich unverantwortlichen, unfähigen, selbstsüchtigen und auch sonst fürchterlichen Jungen. Das ist falsch.

Die 38 Prozent AfD und BSW-Stimmen sind kein bedrohliches Fanal für die Wahlen im nächsten Jahr. Sie sind nicht mehr als eine Mahnung an die Alten, die Jungen und ihre Zukunft nicht weiter zu ignorieren, sondern ihre prekäre Stellung im demografischen Kontext der nächsten Jahrzehnte zur Kenntnis zu nehmen und zu bearbeiten.

Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Bildung, des Wissens, der kontrollierten Macht über alle Daten sein, das eines zunehmend fossilfreien Lebens – und das Jahrhundert der Frauen. Die richtige Antwort auf die 38 Prozent AfD/BSW-Stimmen ist nicht Jammern, sondern politisches Handeln, das meint das Bildungswesen umfassend aufrüsten, den Bildungsföderalismus endlich abschaffen, einen für alle in der Republik verbindlichen Bildungskanon für Digitalisierung und KI auflegen und großzügig finanzieren. Finnland, zum Beispiel, zeigt schon seit Jahrzehnten, wie den Jungen mit Bildung und Wissen alle Wege in ihre Zukunft aufgemacht werden können.

Wölfe, die vom Gestern heulen

Dieser Weg aber hat bei allen heute Regierenden keine Lobby. Das ist nach vollziehbar, aber fatal. Wie in früheren Epochen sind die Erzählungen der Alten über die Defizite der Jungen nichts anderes als Spiegel ihrer Todestraumata. Sie ertragen es nicht, im unausweichlichen Wandel keine Rolle mehr zu spielen. Die Vorstellung, dass die Mehrheit einer Generation bereit ist, ohne Systemkritik an der Demokratie und am Kapitalismus die Klimakrise, die aufkommenden Systemkriege und den Übergang in eine nachfossile Zivilisation zu bewältigen, wird dieser Generation als jugendliche Unreife ausgelegt.

Dabei halten die Jungen aus der Shell Studie die Welt von morgen schon jetzt in ihren Händen. Bloß schade, dass die Alten nicht an ihrer Seite stehen. Offenbar ist denen eine Zukunft für den Verbrenner wichtiger als eine für die Jungen. Es sind die Alten, es sind die heute Regierenden, die sich lieber mit den Wölfen arrangieren, die vom Gestern heulen. Die sich mit dem BSW und wenn´s nicht reicht, am Ende auch mit der AfD arrangieren, um den Zug ins Morgen aufzuhalten.

■ UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.