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Alke Wierth lässt sich in Neukölln erst ärgern und dann beschenkenWalnüsse aus Bulgarien

Der Montag hatte als einer dieser Tage begonnen, an denen man das Gefühl hat, dass die in der Atmosphäre der Stadt schwelende Agressivität den eigenen Körper durchdringt und vibrieren lässt. Vielleicht lag es daran, dass ich schon früh, im morgendlichen Hauptverkehr, mit dem Auto unterwegs gewesen war – ein Ausflug auf ein Schlachtfeld, auf dem der Kampf aller gegen alle durch behördlicherseits eingebrachte Regulierungsversuche nur noch gesteigert wird.

Später am Vormittag, auf dem Weg zum Einkaufen, ruft mich auf dem Kottbusser Damm jemand zurück: „Hallo? Hallo!“ Der alte Mann, der immer wieder tageweise vor dem kleinen Edeka auf dem Gehsteig sitzt und Passanten um Geld bittet, winkt mich zu sich.

Steht er vor dem Supermarkt, gebe ich ihm nach dem Einkauf gewöhnlich mein Wechselgeld, mal nur 30 Cent, mal 3 Euro. Heute zieht er etwas aus seinem Rucksack: eine große Tüte voller geschälter Walnüsse. Für mich, aus Bulgarien mitgebracht, sagt er. „Ich Bul­garien“, sagt er und deutet auf seine Brust.

Ich bin jetzt anders bewegt, nicht mehr von Aggressivität. Ein Bettler hat mich beschenkt, was bedeutet das? Obwohl ich nicht zu Aberglauben neige, habe ich das Gefühl, dass das ein Zeichen ist. Die Menschen sind plötzlich freundlicher.

Am Nachmittag bestelle ich Geburtstagstorten in einer arabischen Bäckerei nahe der Sonnenallee. Die Modelle im Geschäft lassen, was aufwendige Verzierungsmöglichkeiten angeht, keine Wünsche offen. Die junge Frau hinter dem Tresen kommt da nicht mit: Ihr schwarzes Gewand, das Körper und Haare verhüllt, lässt ihr ungeschminktes Gesicht blass und müde aussehen.

Ganz anders die beiden Kundinnen, die sie gerade bedient. Auch ihre Haare sind bedeckt, doch ihre Wimpern sind lang und dicht wie kleine Handfeger, goldene Armbänder klimpern bei jeder ihrer Bewegungen. Offenbar sind sie freischaffende Kosmetikerinnen – Schminken ist das Gesprächsthema zwischen Kundinnen und Verkäuferin, die genauso spricht wie viele der Jungmänner auf der Sonnenallee: stoßweise mit tiefer Stimme und ohne Pause zwischen den Worten. „Schminkstuauch?“, fragt sie die eine der Kundinnen, die eigentlich nur in den Laden gekommen waren, um den im Auto wartenden Kindern Süßigkeiten zu kaufen.

Nun reicht die Zeit doch für ein ­längeres Gespräch, die anderen Kunden müssen warten. Am Ende werden dann E-Mail- oder Instagramadressen getauscht: „luluirgendwas“ heißt da überraschenderweise die blasse Verkäuferin. Bevor sie gehen, geben die plauderlustigen Kundinnen den geduldig Wartenden eine Runde Kokoskekse aus.

Neukölln ist voll in Ordnung.

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