Aigner will Daten im Netz löschen: "Digitaler Radiergummi" radiert nicht
Ministerin Aigner setzt ihre Aufräumkampagne im Netz fort - mit Unterstützung von Informatikern. Ihr "digitaler Radiergummi" hat technische Probleme und sorgt für Kritik.
Schon der Name entbehrt nicht einer gewissen Absurdität: "Digitales Radiergummi" nennt Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner eine neuartige Technik, die dem Bürger im Internet mehr Kontrolle über seine Daten geben soll. Dabei löscht, das weiß doch jedes Kind, der gute, alte "Ratzefummel" höchstens milde Bleistiftstriche, schon bei Kugelschreiberspuren wird es schwierig.
Was die Dioxin-geplagte CSU-Politikerin am Dienstag in Berlin von Saarbrücker Informatikern vorstellen ließ, soll ein vermeintliches Grundproblem des Netzes lösen. Denn es wird immer schwieriger, einmal ins Internet gelangte Daten wieder herauszubekommen - seien es Partybilder von Jugendlichen im sozialen Netzwerk, die der Personalchef besser nicht sehen sollte oder ein im Blog hinterlassenes Wutschreiben.
Oft reicht es nicht aus, in Netzwerken oder Weblogs einfach auf den Löschknopf zu drücken. So bleiben, wie mehrere Studien herausfanden, Bilder bei Facebook gerne über Monate auf Servern liegen, die eigentlich zur Beschleunigung der Datenauslieferung ("Content Delivery Network", CDN) dienen. Der Blog-Eintrag lässt sich wiederum nicht selten auch nach Rücknahme des Postings weiter bei Google finden - über dessen Archivfunktion (Cache).
Die Software für Aigners "digitales Radiergummi" nennt sich X-Pire. Bei der Herstellerfirma handelt es sich um eine Ausgründung des Lehrstuhls für Informationssicherheit und Kryptografie an der Universität des Saarlandes. Die Software baut auf der Vorstellung auf, dass Bilder im Web nach einem gewissen Zeitraum nicht mehr sichtbar sein sollen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden sie anfangs verschlüsselt. Ein zentraler Server liefert anschließend an anfragende Rechner nur so lange Schlüssel zum Dekodieren der Bilder aus, wie derjenige, der die Bilder eingestellt hat, es wünscht. Danach ist nur noch eine Aufnahme in schlechter Qualität zu sehen.
Wenn X-Pire fertig ist - aktuell liegt ein Prototyp vor - soll die Software für einen Preis von bis zu 10 Euro pro Monat angeboten werden. Günstig ist das nicht. Und es gibt einen großen Nachteil: Das System funktioniert nur dann, wenn möglichst viele Nutzer ein Zusatzprogramm (Plugin) für den Browser Firefox installieren, ansonsten sind über X-Pire mit einem Verfallsdatum versehene Aufnahmen überhaupt nicht beziehungsweise nur in schlechter Qualität zu sehen, weil sie nicht entschlüsselt werden können.
Der Blogger und Netzexperte Kristian Köhntopp ist daher skeptisch. In der Implementation als Browser-Plugin und in der Tatsache, dass der zentrale Schlüsselserver alles mitspeichern kann, erkennt er Sicherheitsprobleme. Eine echte Löschung finde zudem gar nicht statt. "Die Tatsache, dass der Keyserver nach dem Verstreichen eines Verfallsdatums den Schlüssel nicht mehr ausliefert, heißt nicht, dass der Schlüssel nicht mehr existiert", sagte Köhntopp der taz. Dies sei für Ermittlungsbehörden und andere praktisch, die auf diese Weise "auch auf bereits vermeintlich gelöschte Daten noch bequem zugreifen können".
Wer die eigenen Daten im Netz selbst kontrollieren will, kann das auch ohne digitale Radiergummis jetzt schon tun - auch wenn es mühselig sein kann. Wird das eigene Blog samt Fotos auf einem eigens angemieteten Server gelagert, lässt sich das Zwischenspeicherproblem bei Facebook und Co. vermeiden. Sicherungskopien, die der Serverbetreiber vorhält, kann man löschen lassen.
Wenn es sich um den eigenen Server handelt, lässt sich auch verhindern, dass Google und anderen Suchmaschinen Daten in ihren Cache (Zwischenspeicher) packen. Im Bereich der Online-Netzwerke muss es ja nicht immer Facebook sein: Das freie Netzwerk Diaspora ist darauf zugeschnitten, dass Daten lokal und unter direkter Kontrolle der Nutzer vorgehalten werden. Das vermeidet Überraschungen.
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