Agrarpolitiker Meyer über Protest gegen Tierfabriken: "Die Grünen sind das Original"
Zorn über Megamastställe beflügelt Niedersachsen-Grüne: Agrarpolitiker Christian Meyer erklärt, wie Landkreise Tierfabriken stoppen können.
taz: Herr Meyer, vermissen Sie Astrid Grotelüschen?
Christian Meyer: Nein, eine Lobbyistin der Geflügelindustrie als Agrarministerin ist sicher das Letzte, was Niedersachsen braucht…
Aber die Appeasement-Politik ihres Nachfolgers Gert Lindemann (CDU) erschwert den Wahlkampf.
Die Probleme bleiben ja bestehen: Gerade bei Kommunalwahlen zählen konkrete Handlungen mehr als unverbindliche Absichtserklärungen. Und da hat sich ja nicht viel geändert.
Ist der Tierschutzplan kein Hinweis auf einen Kurswechsel?
Es wird lediglich versucht, den Eindruck eines Kurswechsels zu erwecken, aber die alte Lobbymaschine läuft weiter. Lindemann verschiebt fast alle guten Vorschläge wie die Beendigung von Schnabelkürzen oder Ferkelkastrationen um sechs bis sieben Jahre. Wir haben als grüne Landtagsfraktion deshalb einen eigenen Tierschutzplan vorgelegt, mit Maßnahmen, die hier und heute zu realisieren sind.
Und Sie wollen bei den Kommunalwahlen vom Ärger über Maststallbauten profitieren - obwohl Lokalpolitik die nicht verhindern kann?
Der Eindruck täuscht: Kommunalverwaltungen haben durchaus Möglichkeiten, unerwünschte Industrieställe zu stoppen.
36, Sozialwirt, ist stellvertretender Vorsitzender und agrarpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im niedersächsischen Landtag.
Wie kann eine Gemeindesatzung das Bau-Privileg für Landwirtschaftsanlagen aushebeln?
Das kann sie nicht. Deshalb wollen wir eine grundsätzliche Abschaffung des Bauprivilegs für industrielle Großställe auf Bundesebene. Bis es soweit ist, haben Kommunalverwaltungen mit der fehlenden Zuwegung, Brand- oder Keimschutz-Auflagen wirksame Hebel.
Inwiefern?
Viele dieser Anlagen sind ja am Gesetz vorbei genehmigt worden, ohne dass es die Möglichkeit gäbe, im Brandfall die Tiere zu retten, wie es die Bauordnung vorschreibt, und ohne ausreichenden Immissionsschutz. Das muss eine Kommunalverwaltung nicht hinnehmen. In Bad Münder und in Etelsen wurden erst kürzlich wieder Agrarfabriken abgelehnt. Voraussetzung ist aber, dass man als Gemeinde zusammensteht und alle Möglichkeiten ausschöpft: Will man einseitig Politik für die Konzerne machen, oder will man sich bürgerfreundlich verhalten.
Angefangen mit den Brandschutzauflagen hatte der CDU-beherrschte Emslandkreis…
Stimmt - nach Tipps von Bürgerinitiativen. Aber die derzeit strengsten Auflagen hat die rot-grüne Region Hannover, während im Emsland wieder eine butterweiche Regelung gilt. Ich glaube, die Bürger wissen, wem sie da was zutrauen können…
…nämlich Ihrer örtlichen Bürger-Ini, deren Mitglieder auf unabhängigen Listen in die Gemeinderäte drängen?
Das gibt es auch.
Nervt die Konkurrenz?
Nein, wir freuen uns über jeden, der gegen Tierfabriken kämpft. Und insgesamt profitieren Die Grünen von den Bürgerinitiativen: Wir haben viele Neumitglieder in Wietze, in Etelsen hat sich gerade erst ein neuer Ortsverband gegründet und in Polle wurden wir stärkste Partei bei einer vorgezogenen Wahl. Die Leute wissen: Die Grünen sind das Original, wenn es um die Agrarwende zu einer ökologisch-verträglichen, bäuerlichen Landwirtschaft geht. Die wird von den BürgerInnen gewünscht.
Die Mäster sind doch auch BürgerInnen. Vergessen Sie da nicht die Interessen der Profiteure?
Das ist eine verschwindende Minderheit! Vom Bau der Industriemastställe profitiert nur eine Handvoll Konzerne. Bei Hühnern sind das drei: Wiesenhof, Rothkötter, und bis vor Kurzem noch die Firma Stolle, die gerade von einem niederländischen Investor übernommen wurde. Die liefern sich einen Verdrängungswettbewerb um die Vormacht auf dem Weltmarkt. Vor Ort hat davon niemand etwas.
Außer den Angestellten?
Um beim Geflügel zu bleiben: Pro 100.000 Hühner entsteht unter industriellen Haltungsbedingungen rund ein Arbeitsplatz. Gleichzeitig leidet die bäuerliche Landwirtschaft darunter, und es gehen Jobs im Tourismus verloren. Die Agrarindustrie vernichtet mehr Arbeitsplätze, als sie schafft. Es ist deshalb ein Irrweg, wenn die Landesregierung Großprojekte wie die Schlachtfabrik von Wietze mit 6,5 Millionen Euro subventioniert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen