Afghanistan: Kritik an Drogenkurier-Urteilen
Am Drogengerichtshof werden kleine Rauschgift-Kuriere zu hohen Strafen verurteilt. Menschenrechtler bemängeln, dass Exempel statuiert werden.
KABUL taz Die oberste Richterin grüßt auf Deutsch: "Guten Morgen". Auch italienische und englische Grußformeln hat Mokarama Akrami parat. Am Zentralen Drogengericht Afghanistans in Kabul geben sich internationale Berater die Klinke in die Hand. Im klimatisierten Gerichtssaal sitzen zwei Frauen und ein Mann in edlen Roben hinter dem Richterpult. Auf der Besuchertribüne sitzen fünf ausländische Beobachter. Der Einzige, der nicht so recht hierher zu passen scheint, ist der Angeklagte: Ein alter Mann mit Zottelbart und schmuddeligem Turban, in dessen Haus zwei Kilo Heroin gefunden wurden.
Vom Chaos in normalen afghanischen Gerichtssälen ist das Drogentribunal weit entfernt. Der Kampf gegen Drogen steht auf der internationalen Agenda weit oben - größere Erfolge bleiben jedoch bislang aus. Die Opiumwirtschaft steigert die Korruption in der Polizei, fördert mafiöse Strukturen in der Regierung und versorgt Aufständische mit Geld. Menschenrechtler kritisieren, dass wegen des Erfolgsdrucks im Antidrogenkampf, viele Unschuldige zu hohen Haftstrafen verurteilt werden.
Seit seiner Schaffung vor gut zwei Jahren wurden am Drogengerichtshof mehr als 1.400 Angeklagte verurteilt. Bedeutende Drogenschmuggler waren nicht darunter. "Die großen Fische fängt keiner, weil sie wichtige Leute kennen oder sich freikaufen", sagt einer der 14 Richter des Gerichts, der anonym bleiben möchte. "Die transportieren das Opium nicht selbst, sondern bezahlen arme Leute dafür."
So sind es vor allem Fahrer, Farmer und Arbeitslose, die verurteilt werden - oft auf der Basis fragwürdiger Beweise. So wurde nach Angaben der International Legal Foundation (ILF) ein Mann in einem Restaurant an der Grenze zu Pakistan verhaftet, weil er einen grauen Bart hatte. In der Nähe war ein Drogenkurier geflüchtet, von dem die Ermittler nur wussten, dass er einen grauen Bart hatte. Ohne weitere Beweise wurde der Angeklagte zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil, nun liegt es beim Obersten Gerichtshof.
Trotz jahrelanger Reformversuche hat die Polizei hat kaum Erfahrung in der Beweisaufnahme. Staatsanwälte und Richter wissen häufig nicht, wie sie Beweismaterial bewerten sollen. "Es kommt oft vor, dass die Polizei Unschuldige verhaftet, weil sie sich in der Nähe des Tatorts aufhalten", bestätigt Richterin Akrami. Die fragwürdigen Urteile entstehen aber auch durch starken internationalen Druck. "Aus Angst, als korrupt zu gelten, bemühen sich Richter, die Zahl der Freisprüche gering zu halten", sagt ein Rechtshelfer, der anonym bleiben will, weil er fürchtet, dass seine Organisation von Gerichtsverfahren ausgeschlossen werden könnte. "40 Prozent unserer Klienten im Drogengericht werden zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt", sagt der Rechtshelfer. In anderen Strafrechtsverfahren, wie Mord und Entführung, seien es nur 3 Prozent.
Richter und Staatsanwälte am Drogengericht werden von internationalen Gebern bezahlt. Sie verdienen rund 700 Dollar - das Zehnfache eines normalen afghanischen Richters -, um sie gegen Korruption zu feien. Hinzu kommt, dass das von internationalen Gebern mitverfasste Antidrogengesetz hohe Strafen vorgibt. Mildernde Umstände oder Bewährung sind nicht vorgesehen. "Das Gesetz ist gut für große Drogenschmuggler, aber nicht für Fahrer, die nicht mal wissen, was sie transportieren", so ein Strafverteidiger.
Die Briten, die die Koordinierung des Antidrogenkampfs in Afghanistan übernommen haben, versprechen, dass künftig auch größere Fische ins Netz gehen werden. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass ranghohe Politiker am Drogenhandel beteiligt sind. Druck machen auch die internationalen Geber, die allmählich die Geduld mit Kabul verlieren. Dieser Druck ist bis in den Gerichtssaal zu spüren. Nach Ende der Verhandlung strahlt einer der Richter die internationalen Besucher an: "Wie fanden sie unsere Veranstaltung?"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!