Adrian Schulz Jung und dumm: Kartoffelstampf und Wundstarrkrampf
Eine Flasche Bier, die man sich abendlich aus dem Kühlschrank holt, um damit Barbara Eligmann anzugucken – das reicht schon aus, um zu verhindern, dass die Leute einsehen: Ich bin schwer krank.“ Das sagte Christoph Schlingensief in einem Interview mit Stuckrad-Barre über „Chance 2000“; und machte man sich so nicht gemein mit Philipp Ruch – man würde Nazi-Methoden fordern zum Umgang mit dem sich respektive SCHÖNHEIT nennenden Auswurf, der heute das Feld des politischen Aktivismus mit brachialer Dummheit für sich reklamiert (und das Erbe Schlingensiefs gleich mit).
Bei aller Weihnachtseuphorie sollte daher nicht vergessen werden, dass es Wichtigeres gibt, zum Beispiel den Fahrplanwechsel der Deutschen Bahn vom vergangenen Wochenende. Endlich wird die neue ICE-Strecke zwischen Nürnberg und Erfurt eröffnet. Keine Landschaft schließlich ist öde genug, als dass man sie nicht untertunneln könnte. Wo sich am Weihnachtstisch ödipale und kulinarische Reizschemata kreuzen, tun dies im Freiland Betonüberführung und Lebensverneinung.
Toll fände ich daher, wenn man so was einmal praktisch inszenieren würde: Der Chor der Amazon-Entlassenen singt FDJ-Kampflieder vor der winterlich geschmückten Schobsetalbrücke. Einen anderen Impulsgeber neuer, radikal in die Gegenwart eingegossener Weihnachtsgeschichten erkenne ich in den schönfärberisch „Einstiegslotsen“ genannten Funktionsträgern geronnenen Elends, welche seit Neuestem an den S- und U-Bahn-Steigen im Kölner und Frankfurter Hauptbahnhof den Türen der Bahnen zum Schließen verhelfen. „Weil wir dich lieben“ lautet schließlich das Motto der uns umgebenden ideologischen Verkehrsapparate, denn ja, sie lieben uns auf jedem Zentimeter, stellen uns sogar das wegrationalisierte Personal wieder hin, so sehr lieben sie uns; so sehr, wie wir uns hassen. Daher wäre es nur konsequent – und würde sicher die Taktfrequenz zusätzlich stabilisieren – wenn als Nächstes statt Hartgummi Klingen in den Türflügeln hingen. Das passt auch sehr gut zum Verkehrsrot der Bahnen.
Wir brauchen neue Weihnachtsgeschichten, so viel ist klar. Das ostentative Fluchen des kleinen Mannes, sobald es auch nur fünf Minuten sind, die er länger am eigenen, fauligen Pestatem rumschlucken muss, weil die Weichenmuffe brockig spannt: Es spiegelt uns alle. Das bereitet Sorge. Die Ursachen: 1) Sündtrockenheit – wir sind vor Sünde ganz trocken, müssen literweise Wasser trinken täglich; 2) Mangel an Schwibbögen; 3) Grundköder – fangen an, vor Scham zu schimmeln. Die Bauern jammern schon.
Die Fünftage-vorschau
Do., 14. 12.
Jürn Kruse
Nach Geburt
Fr., 15. 12.
Franziska Seyboldt
Psycho
Mo., 18. 12.
Kefah Ali Deeb
Nachbarn
Di., 19. 12
Sonja Vogel
German Angst
Mi., 20. 12.
Michael Brake
Nullen und Einsen
kolumne@taz.de
Aber das wollen Sie ja nicht hören. Sie gehen lieber verschämt um die Ecke und hoffen, dass Sie niemand fragt. „Man lebt ja trotzdem“, sagen Sie und lachen, wenn doch, gequält. Ich lasse Sie nicht allein. Ich komme mit in Ihre Wohnung und fülle Staub in den Drucker. Bleibe bei Ihnen, ganz nah. Wir sitzen auf dem Sofa und essen Mottenkugeln, erzählen von früher. Frohes Fest.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen