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■ Acht Stunden sind kein Tag, vier Tage keine Woche, und die Deutschen sind nicht die WeltSpiel auf Zeit

Die Viertagewoche bekommen wir nicht, weil die Idee so gut ist, sondern weil VW seine Autos nicht los wird. Diese Arbeitszeitverkürzung (fast) ohne Lohnausgleich löst genau ein Problem: Die Absatzflaute in der Automobilindustrie kann überbrückt werden, ohne daß (allzu viele) VW-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen entlassen werden. Das ist ein großer Fortschritt gegenüber der Ideologie, daß angesichts der Wirtschaftskrise immer weniger Arbeitsplatzbesitzer immer mehr arbeiten müssen, um immer mehr Arbeitlsose zu finanzieren. Das ist es dann aber auch.

Auf Dauer läßt sich die Krise der deutschen Automobilindustrie auf herkömmliche Art und Weise nur lösen, wenn deutlich mehr Autos verkauft werden und gleichzeitig die Produktivität überdurchschnittlich erhöht wird. Warten auf den chinesischen Markt – wollen wir das? Wieviele Autos lassen sich aus Lohnverzicht kaufen? Und was kommt nach dem nächsten Produktivitätsschub? Die Dreitagewoche? Oder schaffen wir es gar, unsere Autos so billig zu produzieren, daß unsere Arbeitsplätze von morgen woanders noch mehr Arbeitsplätze zerstören als bisher? Wer Waren exportiert, in denen nurmehr ein Minimum an menschlicher Arbeit steckt, exportiert damit sein Produktivitätsniveau.

Aber jenseits aller Sorgen um den Standort Deutschland ist es weder wünschenswert noch realistisch, daß wir unsere Arbeitslosigkeit vollständig auf andere Länder abwälzen. Wenn wir national etwas solidarischer sind und international etwas unsolidarischer, bleibt uns dennoch die Frage: Wohin mit den Arbeitslosen? In den zweiten Arbeitsmarkt, so lautet die Antwort von CDU, SPD und FDP. Unterschiede gibt es da nur in der Ausgestaltung des Tarifrechts – alles weitere regeln gefälligst die Tarifparteien. Der Grundgedanke ist bei allen Parteien gleich. Der erste Arbeitsmarkt soll soviel Gewinne erwirtschaften, daß er den zweiten finanziell subventionieren kann. Und der zweite Arbeitsmarkt soll die ökologischen und sozialen Schäden des hyperproduktiven ersten heilen. Das klingt allzu vertraut. So wie der Mann hinaus ins Leben geht und die Frau zuhause Kinder großzieht, so wie bisher die Erwerbstätigen die Arbeitslosen und Rentner finanzierten, so soll in Zukunft der zweite Arbeitsmarkt ökologisch wieder gerade rücken, was der erste an Zerstörung angerichtet hat. Die Ökologie als der buchstäblich letzte Schrei des Wachstumsmodells. Genialität oder Wahnsinn?

Wahnsinn. Erstens werden so immer mehr Waggons mit sozialen und ökologischen Lasten an die Lokomotive des produktiven Sektors gehängt, die dann ihrerseits immer mehr angeheizt werden muß, um die schwere Last zu ziehen. Oder es werden einige Waggons abgehängt. Oder beides: Zweitens – und das ist ein zentraler Unterschied zwischen dem ökologischen und dem sozialen Ausgleichdenken – ist Natur nur sehr begrenzt reparabel: Eine abgeholzte 70jährige Eiche kann sicher von einem fleißigen, untertariflich bezahlten, vom Produktivarbeiter bemitleideten ABM-Ökologen durch eine neue Eiche ersetzt werden. Eine alte Eiche wird daraus aber erst in 70 Jahren. Ein Urwald ist nur einmal in 500 Jahren ein Ur- Wald. Alles was dazwischen kommt, ist schlicht Wald. Ausgestorbene Arten lassen sich nicht ersetzen, und vergiftete Natur ist nur sehr selten und sehr teuer zu entgiften usw.

Noch wichtiger ist der dritte Einwand: Das bedingungslose Anheizen der Lokomotive treibt den Globus in eine globale Arbeitsteilung, in der mit immer weniger menschlicher Arbeit möglichst viele Waren hergestellt werden, und die jeweils größte Produktivität sich binnen fünf Jahren auf dem ganzen Weltmarkt ausbreitet. Das Arbeitszeitproblem wird – wir erleben es schon heute – global. Doch wieviel neue Waren müssen auf diesem Stand der Produktivität hergestellt werden, um den weltweit 500-800 Millionen arbeitslosen Menschen Arbeit zu geben?

In diesem Dilemma liegt indes bereits ein Teil der Lösung. Denn das Zeitproblem kann nur global werden, weil die Räume keine Rolle mehr spielen. Sie spielen deshalb keine Rolle, weil die Wegstrecken zu billig sind. Ein Beispiel: Holländische Milch wird nach Galicien exportiert, weil sie billiger hergestellt werden kann. Natürlich zerstört die holländische Milch damit die galizische Milchwirtschaft und produziert dort Arbeitslose, wie sie es vorher in Holland selbst auf dem Weg in die industrielle Landwirtschaft schon getan hat. Das geht nur deshalb, weil der Transport nicht ins Gewicht fällt, weil der Sprit zu billig ist und die Straßen zu gerade sind. Das sind die beiden höchst unökologischen Exportmittel der Arbeitslosigkeit – der planierte Planet und die billige Energie.

Kurzum: Die globale Marktwirtschaft setzt nicht die Kräfte des Marktes, sondern die Arbeitskräfte frei. Rein quantitativ ist das Problem nicht zu lösen. Das ist schade, weil man sich über Zahlen viel leichter unterhalten kann als über Qualitäten, über die Entlohnung der Arbeit besser als über ihre Würde. Um die geht es aber unter der Hand sogar bei der Viertagewoche. Denn das Arbeitslosengeld eines VW-Arbeiters, der heute aus einer Fünftagewoche entlassen wird, ist nicht niedriger als es morgen der Lohn eines VW- Arbeiters in einer Dreitagewoche sein würde. Sinn kann man nicht verordnen. Man kann ihm nur Platz lassen: Wenn Regionen ihre Eigenständigkeit behalten wollen, brauchen sie Schutz und sei es nur den durch Geographie, also Entfernung. Die könnte aber erst wieder durch global höhere Transportkosten ins Recht gesetzt werden. Darüber muß politisch entschieden werden. Sinn entsteht aus würdiger Arbeit. Die ist aber oft nur zu erhalten, wenn nicht die Arbeit besteuert wird, sondern Energie und Maschinen. Auch darüber muß politisch entschieden werden. Es geht nicht um Abschottung, sondern um den Erhalt und die Neuformierung regionaler Märkte. Märktewirtschaft statt globaler Marktwirtschaft. Wenn die politische Steuerung weiterhin versagt, bekommen wir global einen Protektionismus aus Angst und nationale Regression aus Schwäche.

Die öffentliche Debatte über zu viel und zu wenig Arbeit stürzt sich aus Furcht vor den schwierigen Fragen noch immer auf einfache Antworten. Die Politik schiebt die zentrale Entscheidung über das Wie unseres Produzierens und Konsumierens auf die Tarifparteien ab. Aber die Viertagewoche löst unser Arbeitszeitproblem im Grundsatz nicht, und der zweite Arbeitsmarkt nicht die Probleme des ersten, solange wir keinen zweiten Weltmarkt haben und keine zweite Erde im Keller. In die Logik der Zahl müssen Schneisen des Sinns geschlagen werden. Dafür braucht man Politik und nicht bloß Tarifpolitik. Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf

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