Achse des Herbstes von Thomas Winkler : Drei Farben: Braun
Der Herbst ist die Zeit für Sentimentalität. Und Sentimentalität ist nichts anderes als hemmungslose Rückwärtsgewandtheit. Also ist Zeit, sich zu erinnern an ein One-Hit-Wonder: „Mmm“? „Mmm Mmm Mmm Mmm“? Genau. Tragisch, dass ein kleiner, hingesummter Fehler so penetrant werden kann. Oder wie Sänger Brad Roberts auf dem neuen Album der Crash Test Dummies dichtet: „So it is/ So it was/ And so will always be“.
Ein Jahrzehnt später scheint endlich Gras gewachsen über die Sache, und selbst das Roberts’sche Knödeln, auf dem der einzige Hit der kanadischen Band vornehmlich gründete, ist wieder erträglich geworden. Diese Stimme wieder zu hören, ist vergleichbar damit, sich nach Jahren wieder auf ein altes Sofa zu setzen, das nicht nur bequem ist, sondern vor allem wohlige Erinnerungen hervorruft. Je tiefer man im Sitzmöbel versinkt, und je länger „Songs of the Unforgiven“ andauert, desto mehr scheint die Musik zum Stillstand zu kommen. Manchmal ist sie kaum noch vorhanden, wird immer reduzierter, während die Stimme einsam durch die Akustik der kleinen Kirche am Lake Superior schwebt, in der das Album aufgenommen wurde. So kontempliert Roberts über das Leben und kommt der Jahreszeit angemessen zu eher trüben Ergebnissen: „There is a time, when death becomes your friend“. Diese Band soll ruhig weiter so schöne Platten machen, sich aber zum eigenen Vorteile schleunigst umbenennen.
Crash Test Dummies: „Songs of the Unforgiven“ (Cha Ching/Soulfood)
Drei Farben: Ocker
Heidi Triska weiß, wie sich der Mensch fühlt in diesen Tagen. „Stay Warm“ hat die Münchnerin ihr Debütalbum genannt. Das klingt wie warme Worte, die man dem lieben Freund ins Poesiealbum schreibt. Auf dem Cover posiert sie in einem tief ins Gesicht gezogenen Anorak, und so trübe wie das Zwischenlicht auf diesem Foto wirken auch die Songs, die Triska mit Gerald Huber, ihrem Lebensgefährten und Bandkollegen bei Cat Sun Flower, entworfen hat. Selbst wenn das Tempo anzieht wie in „Simply Too Warm“, dann treiben sich doch im Hintergrund ein paar Blechbläser herum, von denen einem ganz melancholisch wird. Vor allem aber funktioniert diese kleine Verschiebung, die man auch von Cat Sun Flower kennt. Triska singt mit einem kleinen Akzent, der aus der Kopie eine liebevolle Aneignung macht. Plötzlich kann man sich zwar noch Gedanken machen, woher dieses Beatles-Zitat stammt oder jener Country-Einfluss kommt, aber die Musik fühlt sich richtig an, weil sie nicht so tut, als könnte man diese Referenzen unvoreingenommen adaptieren.
So gesehen sind Triska authentischer als manche deutsch textende Rockband. Ihre Musik kreist trotz englischer Reime nahezu zwanghaft um Themen, die gerne als typisch deutsch gelten: Zweifel, Tiefsinn, Tragik. Kein Zufall also, dass die einzige Fremdkomposition „I Wish You Love“ ausgerechnet in der Interpretation einer deutschen Ikone wie Marlene Dietrich zu Berühmtheit gelangte.
Triska: „Stay Warm“ (Redwinetunes/PIAS/Rough Trade)
Drei Farben: Moosgrau
Auch Shine hat die Melancholie erwischt. Wohl weil sie im Gegensatz zu den anderen Probanten entschieden jünger sind, verläppert sich das stilvolle Leiden auf „Rock ’n’ Roll with a Little Bit of Style“ allerdings zur selbstmitleidigen Pose mit Pausbacken. „Where is your guiding light?“, fragt Sänger Frederik Waldner, und der Rest des Hamburger Trios gibt mit epischem Breitwandgitarrenpop die Antwort: Die Vorbilder heißen Starsailor, Verve oder Travis.
Bei solchen Bezugspunkten braucht es schon ein wenig Größenwahn, und wo anderen ein Cello genügt oder ein Waldhorn, müssen bei Shine mindestens Posaunenchor und Streichorchester ran. Produziert hat der mit Selig groß gewordene und seitdem erfolgreich gebliebene Franz Plasa, aber sollte Shine jemals Phil Spector in die Finger geraten, bleibt garantiert kein Taschentuch trocken. Waldner geht es um Liebe und diese findet zwischen Todessehnsucht und Sternenlicht statt; abends war sie noch unendlich, morgens ist man aber schon wieder allein; und der Wind erzählt flüsternd von ihr. So etwas kann nur auf Englisch funktionieren. So funktioniert es aber prächtig. Wie kleine Jungs im Süßigkeitenladen entdecken Shine die Möglichkeiten eines Himmels voller Geigen und Gitarren – und staunen mit großen runden Augen. Das hört man ihrer Musik an, die vollkommen unbelastet drauflosklaut. Stildiebstahl ist eben kein Kavaliersdelikt mehr, sondern längst Ehrensache.
Shine: „Rock ’n’ Roll with a Little Bit of Style“ (Safety/Edel)