Abstiegskampf: Am Höhepunkt der Demontage
Der HSV verliert 2:4 gegen den Tabellenletzen Braunschweig. Das kostet Trainer Bert van Marwijk den Job. Nachfolger soll Mirko Slomka werden.
HAMBURG taz| Der Wille zur Besserung war zumindest an der Kürze ihrer nächsten Krisensitzung zu erkennen. Für einen Verein wie den Hamburger SV, der angesichts seiner zahlreichen, ergebnislosen Gesprächsrunden und seiner Niederlagen in Serie zuletzt belächelt worden ist, kam die Trennung von Bert van Marwijk erstaunlich schnell. Gerade einmal vier Stunden nach der 2:4 (1:0)-Pleite bei Eintracht Braunschweig stand die Entlassung des Cheftrainers fest.
In 143 Tagen hatte der Niederländer das HSV-Team bis auf Rang 17 der Fußball-Bundesliga absacken lassen. Mit Mirko Slomka, der heute als Nachfolger präsentiert werden soll, steht ein Mann bereit, der als früherer Coach von Hannover 96 Erfahrung im Abstiegskampf besitzt und nach seiner Entlassung bei den Niedersachsen verfügbar ist.
Ob des Jammers über die Niederlage beim Tabellen-Schlusslicht Braunschweig war van Marwijk erstaunlich ruhig geblieben. „Ich lasse die Spieler nicht im Stich“, sagte der 61-Jährige, als er zum wiederholten Mal gefragt wurde, ob er denn nun im Amt bleibe dürfe. Vielleicht war seine Gelassenheit gespielt. Vielleicht mochte er gar nicht mehr kämpfen. Die Art und Weise, mit der van Marwijk nach der siebten Niederlage in Folge abtrat, darf als cool und gefasst bezeichnet werden. „Nüchtern und sachlich“ nannte Carl-Edgar Jarchow, der Vorstandsvorsitzende des HSV, die Reaktion des Trainers auf den Höhepunkt seiner Demontage.
Tagelange Reibereien und Kraftproben der Vereinsgremien hatten van Marwijk beschädigt. Ein sogenanntes Analysegespräch des gesamten Vorstandes mit Sportdirektor Oliver Kreuzer noch am Samstagabend öffnete den Weg zur Trennung. Die kleinlauten Spieler, die in Braunschweig viel zu wenig Gegenwehr gezeigt hatten, erfuhren kurz nach ihrer Ankunft im Hamburger Stadion, dass ihre dürftigen Leistungen den Trainerwechsel unabdingbar gemacht hatten.
Reichlich Anlässe zur Sorge
Die Partie vor 23.200 Zuschauern, die durch die Brisanz und Hektik des Abstiegskampfes charakterisiert war, lieferte reichlich Anlässe, sich Sorgen um den Traditionsverein HSV zu machen. „Wenn man sich die Tabelle ansieht, muss man im Abstiegskampf definitiv Angst haben“, sagte Innenverteidiger Lasse Sobiech. „So werden wir es sicherlich nicht schaffen.“ Dem Führungstreffer des HSV durch Stürmer Pierre-Michel Lasogga (23. Minute) war erneut eine Vielzahl individueller Fehler gefolgt. Zwei davon leistete sich Nationaltorhüter René Adler, die jeweils zu Gegentreffern führten.
Der zur zweiten Halbzeit eingewechselte Dominik Kumbela schoss gleich drei Treffer für Braunschweig (51., 61., 85.) und ließ den zwischenzeitlichen Ausgleich zum 2:2 durch Ivo Iliečević schnell wieder vergessen. Beim 4:2 der Eintracht durch Jan Hochscheidt in der Nachspielzeit hatten die Hamburger Profis bereits aufgehört, sich zu wehren. „Wir sind es nicht gewohnt, richtige Spiele gegen den Abstieg zu machen“, sagte van Marwijk. Es war einer seiner letzten Sätze, die eine bedrohliche Lage in moderate Worte kleideten.
Wütende Fans vorm Rolltor
Die angedachte Übergabe der sportlichen Verantwortung von van Marwijk an Slomka soll die Not auf dem Feld lindern. Aber wer kümmert sich um die große Wut des Volkes? „Wir wollen den Vorstand sehen“, hatten wütende Fans skandiert, die ein Rolltor am Braunschweiger Stadion blockierten. Im Anschluss an eine Partie, die der harte Kern der HSV-Anhänger immer wieder mit dem Zünden von Pyro-Technik gestört hatte, war es zu handfesten Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen.
Kapitän Rafael van der Vaart, der angeschlagen in die Partie gegangen war und keinerlei Akzente setzen konnte, brachte den Mut auf, ganz alleine den Gang in die Fankurve anzutreten. Aber die Angst auf den Rängen vor dem ersten Abstieg des HSV in der Bundesliga-Geschichte machte es unmöglich, diese Geste zu würdigen.
Nachdem mit Felix Magath, der sich inzwischen dem FC Fulham angeschlossen hat, kein Mann für mehrere Ämter auf einmal geholt werden konnte, dürfte es in der Führung des HSV so schnell keine Veränderungen geben. Slomka wäre damit Trainer eines Vereins, dessen Vorstand und Aufsichtsrat noch schlechtere Leistungen als die Mannschaft abgeliefert haben.
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