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Archiv-Artikel

Abschied vom Apfelkuchen-Idyll KOMMENTAR VON HEIDE OESTREICH

Westdeutschland beginnt, seinen Sonderweg in Sachen Kinderbetreuung zu verlassen. Der Krippengipfel hat entschieden: Jedes dritte Kleinkind soll in Zukunft einen Ganztags-Betreuungsplatz vorfinden. Die Politik streitet nicht mehr darüber, ob es wirklich mehr Kitaplätze braucht.

Zwar ist die Finanzierung noch offen. Dennoch ist die Einmütigkeit der FamilienministerInnen bemerkenswert. Schließlich wurden zuletzt ganz andere Debatten geführt: Da wurde die deutsche Mutter von katholischen Bischöfen und christlich erleuchteten Pädagoginnen und Moderatorinnen vertreten. Netzwerke gründeten sich, um angebliche Spätschäden fremdbetreuter Kinder anzuprangern. Es roch nach Kulturkampf. Doch der Krippengipfel zeigt: Dieser Kulturkampf hat mit der Realität nichts zu tun.

Nicht nur die Moderatorin Eva Herman hat im wahren Leben die Berufstätigkeit der Dauerproduktion von Apfelkuchen vorgezogen. Tausende anderer Frauen haben am Beispiel ihrer eigenen Mütter die Risiken des Heim-und-Herd-Arrangements erlebt: sei es das monetär unterfütterte Machtgefälle in der Ehe. Sei es, dass die Mutter noch ganz andere Talente hatte als Naseputzen und Kuchenbacken – nicht gelebtes Leben macht unglücklich. Oder sei es, dass die Mutter heute geschieden ist und nun mit schmaler Rente in einer Einzimmerwohnung sitzt.

Zudem treffen sie auf die Realität von heute: Der Partner hat eine befristete Stelle oder gar keine. Er traut sich das Ernährermodell nicht zu. Sie selbst können nicht drei oder mehr Jahre aussteigen, ohne dass der eigene Job perdu ist. Und dann sehen sie bei der Kusine in Berlin, dass deren zweijähriges Kind rotbackig und frohgemut in die Kita stiefelt – von Verhaltensstörungen keine Spur. Eltern schauen nämlich in der Regel schon hin, ob die Kita für das Kind gut ist. Dafür allerdings brauchen sie eine Auswahl – und nicht nur eine örtliche Notverwahranstalt.

Die Politik hat das verstanden, sogar die christliche. Die ungelöste Finanzierungsfrage kann den Ausbau noch verzögern. Aber dass ein dringender Bedarf besteht, leugnet kein Fachminister mehr. Das versperrt jeden Weg zurück aus der Realität ins Reich kulturkämpferischer Wunschträume.