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Absage an Volksparteien und Große Koalition

■ Infas-Analyse: Nur 36 Prozent der abgegebenen Stimmen für SPD und CDU

Berlin. Laut einer Analyse des Infas-Institutes setzte sich in Berlin der Trend fort, daß kleine Parteien vor allem am rechten Rand und vom linken Spektrum gestärkt wurden und viele Bürger ins Lager der Nichtwähler abwanderten. Die Wahl sei eine Absage an die großen Volksparteien. Im einzelnen führte das Institut folgendes aus: »Hatten vor anderthalb Jahren CDU und SPD gemeinsam noch 70,8 Prozent der gültigen Stimmen in der ganzen Stadt erhalten (78,5 Prozent im Westen; 57,1 Prozent im Osten), so waren es nun nur noch 59,3 Prozent. Im Durchschnitt der letzten — noch getrennt und zu verschiedenen Zeitpunkten (Januar 1989 — im Westteil, Mai 1990 im Ostteil) abgehaltenen — Bezirkswahlen hatten sich noch 65,8 Prozent der Wähler für CDU und SPD entschieden.

Die ganze Dramatik des Vertrauensverlustes der beiden Volksparteien wird allerdings so recht erst deutlich, wenn die 1992 auf 61,2 Prozent abgesunkene Wahlbeteiligung berücksichtigt wird: Die »Partei der Nichtwähler« ist nicht nur die stärkste »politische Kraft« in der Hauptstadt, sie hat auch die beiden Parteien der Großen Koalition überrundet: Fast eine Million der über 2,5 Millionen Wahlberechtigten blieb den Wahlurnen fern, nur knapp 900.000 von den abgegebenen Stimmen (gerade 36 Prozent aller Wahlberechtigten) entfielen auf CDU und SPD zusammen. Im Osten der Stadt waren es bei über 410.000 Nichtwählern gar nur gut 250.000 Voten für die Parteien der Senatskoalition.

Die von rund zwei Dritteln der Bevölkerung in West wie Ost vor der Wahl geäußerte Unzufriedenheit mit der Arbeit des Senats entlud sich in den östlichen Bezirken stärker in Wahlenthaltung als im Westteil. Mit 57,4 Prozent lag die Wahlbeteiligung um sechs Punkte unter der in den westlichen Bezirken (63,5 Prozent). Im Ostteil nahm man — angesichts von politischer Verärgerung, erheblicher Verunsicherung über die private und die allgemeine wirtschaftliche Zukunft sowie großer Sorgen über die Lage auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, über Kriminalität und Verbrechen — weit stärker das neue demokratische Recht, nicht zur Wahl gehen zu müssen, in Anspruch. Das Nicht- beziehungsweise Wählervotum hat die SPD besonders getroffen. Bei den letzten Wahlen waren sie in 14 von 23 Stadtbezirken die stärkste Kraft, diesmal nur in sechs. dpa

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