■ Abchasien erklärt sich unabhängig – über 250.000 Menschen, vorwiegend Georgier, wurden vertrieben: Funkstille über dem Kaukasus
Wladislaw Ardsinba steht der Haß im Gesicht, wenn er über seinen Gegner spricht. Selbst vor Kameras gelingt es ihm nicht, sich zu mäßigen. Gegenseitigen Respekt auch unter Feinden – dafür hatte der Abchase nie etwas übrig. Sein kleines Volk an der Südwestflanke des Kaukasus peitschte er zwei Jahre lang rücksichtslos durch einen blutrünstigen Krieg und schaffte das Unmögliche. Das winzige Abchasien zwang Georgien in die Knie und proklamierte seine Unabhängigkeit. 250.000 Vertriebene – meist Georgier – flüchteten über die Berge ins Mutterland, das durch innere Zwistigkeiten und Wirtschaftskollaps nur noch vor sich hinsiecht. Ardsinba wollte immer alles: volle Unabhängigkeit von Tbilissi. Jetzt wählte ihn das Parlament in Suchumi zum Präsidenten, ausgestattet mit weitreichenden Kompetenzen. Das läßt für die Verhandlungen zwischen den Kontrahenten in Genf unter Leitung der UNO wenig Hoffnungen aufkommen.
Man hatte sich eigentlich schon geeinigt. Bis Oktober 1995 sollten mindestens 35.000 Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können. Nur wenige ließ man durch. Nun scheint die Rücksiedlung wieder ins Stocken zu geraten. Ardsinba setzt Georgien die Pistole auf die Brust. Erst Verzichtserklärung, dann Regulierung der Flüchtlingsfrage. Schließlich verlangt er noch Wirtschaftshilfe. Doch wo sollte die herkommen? Georgien liegt am Boden. Die Bedingungen sind so formuliert, daß ein Ausgleich scheitern muß. In Tbilissi erstarken dagegen die Stimmen der Opposition, die Präsident Schewardnadse zwingen wollen, erneut einen Waffengang gegen Suchumi vom Zaun zu brechen. Die desolate innenpolitische Lage birgt immer die Gefahr, einzelne bewaffnete Gruppen könnten erneut ein kriegerisches Abenteuer suchen, um den gemäßigteren Kräften bei Anrufung ihrer „nationalen Ehre“ einen Loyalitätsbeweis abzupressen.
Rußland könnte ein Machtwort sprechen, aber es schweigt. Das Hauptziel ist schon erreicht. Auf Knien kroch Georgien zurück in die GUS. Die Konflikte im brodelnden Kaukasus sollen sich „von selbst“ lösen. Die antidemokratische Front hatte dagegen Abchasien offene Hilfestellung geboten. Ohne sie hätte Ardsinba keinen Fußbreit Territorium gewonnen. Das offizielle Moskau will dagegen keinen Präzedenzfall setzen. Äußerte es sich positiv zu Ardsinbas Sezessionspolitik, könnten sich die kaukasischen Völker im russischen Staatsverband ermutigt fühlen, dem Beispiel zu folgen. Ein Tschetschenien ist Rußland genug. Schlüge sich der Kreml auf die Seite des gezähmten Georgiens, würden sich die moslemischen Kaukasusvölker ebenso gedemütigt sehen. Der Kreml kann also nur schweigen und hier und da ein wenig nachhelfen, damit sich das Problem des unruhigen Kaukasus von allein erledigt. Ardsinba nutzt seine Chance. Klaus-Helge Donath
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