AUSGEHEN UND RUMSTEHEN VON JENNI ZYLKA : Im „Superschicken Liebestempel“ geht niemand ans Telefon
WARUM MAN BEIM STRASSENFEST IM BERGMANNKIEZ GANZKÖRPERTÄTOWIERTE VERMISST UND SICH VOR MENJOUBÄRTCHEN FÜRCHTET
Vielleicht muss man einfach mal aus den gewohnten Bahnen ausbrechen! Abbiegen und woanders hingehen! Alle fünfe Seelen gerade baumeln lassen! Vielleicht ja sogar im „Superschicken Liebestempel“, der auf einem Feuerzeug beworben wurde, das mir am Freitag jemand zusteckte, als ich, verwundert über das Reeperbahnhaftige der Gegend, die wilde Meile Mariannenstraße entlangtuckerte und vor dem Eingangsbereich des durch Musik und Tanz bebenden „Flying Sauvage“ zum Halten kam, einfach weil es zu voll war, um weiterzugehen. Den „Superschicken Liebestempel“ kann man auch anrufen, und natürlich, alkohollustig, zu albern für unser Alter und grundverklemmt wie wir sind, taten wir das stante pede, heutzutage kostet es ja nüscht mehr vom Handy ins Festnetz. Aber selbst Mitarbeiterinnen in superschicken Liebestempeln wollen mal nach Hause, und wenn ich mich recht erinnere, forderte mich die Anrufbeantworter-Frauenstimme zwar in charmanter Ikea-Duzmanier auf, am Montag noch mal anzurufen, aber da war ich nicht mehr in der richtigen Stimmung.
Passé wie Heroin
So ist das mit den Wochenenden, was Freitag noch superschick scheint, ist bereits einen Tag später passé wie Heroin. Die Stadt, das stellte ich dann am Samstag fest, ist jedenfalls wie ausgewechselt, ÄrztInnen, FriseurInnen, WeinhändlerInnen und Kita-Erzieherinnen machen Urlaub, stattdessen laufen sogar in meinem schläfrigen, normalerweise von toleranten LehrerInnen und ihren erwachsenen Kindern bevölkerten Kiez Ganzkörpertätowierte herum. Toll. Nie vermisse ich Tätowierte so sehr wie bei Straßenfesten auf der Bergmannstraße, auf denen Funkbands aus anzug- und menjoubärtchentragenden Strebern spielen, die „Mr Funky … zeigt dir, wie man tanzt!“ singen. Passé hin oder her, auf solchen Straßenfesten vermisse ich sogar Heroin. Ich verbummelte den weiteren Samstag im Gespräch darüber, wo genau an der Mittenwalder Straße früher die Mittenwalder Bar war, und konnte den damaligen Eingang, vor dem bei einem Tequila-Kampftrinken in den 80ern säckeweise halbtotes Menschenfleisch herumgelegen hatte, schließlich wieder ausmachen: Meine ehemalige Lieblingsbar scheint sich, gar nicht mal so unpassend, in eine Weinhandlung verwandelt zu haben.
Deal ist Deal
Am Sonntag gab ich dem Kiez eine weitere Chance und setzte mich in meine aktuelle Lieblingsbar an der Ecke Mittenwalder und Blücherstraße, in der die Musik immer stimmt, nie deutsche Funkbands oder die Caras-Coffeelounge-CD laufen und in die sich nie, aber auch nie Menschen verirren, die den Tipp aus dem Easy-Jet-Flightmagazin haben. Ich wäre, zugegeben, zwar ebenfalls froh und dankbar, wenn ich auf dem Weg nach Amsterdam, London oder Kopenhagen bereits im Flugzeug etwas über eine tatsächlich reizende Bar lesen würde, aber das sind nun mal die Spielregeln: Wenn man in eine andere Stadt fährt und niemanden kennt, hat man gefälligst in irgendwelchen blöden Etablissements zu landen, über die der 9,95-Euro-Reiseführer etwas wie „schillerndes, gemischtes Publikum, Künstler und Anwohner in lässiger Atmosphäre“ schreibt und in denen ausschließlich andere TouristInnen mit dem gleichen Reiseführer hocken. Deal ist Deal! Das mache ich schließlich in anderen Ländern genauso! Dafür will ich in den hiesigen Bars aber auch meine Ruhe.