AUSGEHEN UND RUMSTEHEN VON ANDREA HÜNNIGER : Einiger Rauch um nichts
ERST QUALMT DIE MOSCHEE – UND DANN GEHT ES NIX WIE RAUS ZUM LCB AM WANNSEE!
Die Ereignisse bahnten sich schon vor zwei oder drei Wochen an. In Berlin sind zwei oder drei Wochen in der Vergangenheit schon eine halbe Ewigkeit her. Deshalb sagt man nicht neulich, sondern damals. Damals also vor zwei oder drei Wochen begann bereits dieses Wochenende, als in Kreuzberg neben meinem Haus die neue Moschee eine Art Richtfest feierte. Damals dachte ich etwas Peinliches, bin aber gern bereit, es hier zuzugeben. Der Gedanke, der gerade durch meinen Kopf segelte, als ich hinter dem ebenfalls an die Moschee angrenzenden Kaiser’s-Supermarkt mit den Kaiser’s-Supermarkt-Kassiererinnen, die sich frech die „einzigen unterbezahlten Kaiserinnen“ nennen, eine Zigarette rauchte, dieser Gedanke lautete: „Wann wird hier mal eine Molotowcocktail rein donnern?“ Aber so was denkt man, sagt es natürlich nicht.
Als dann allerdings am Samstag weißer Rauch zwischen der Moschee und dem Kaiser’s-Supermarkt aufstieg, war ich die erste Schaulustige am Fenster. Unten zückten Kreuzberger ihr iPhone, um im Zweifel die Polizei oder die Facebook-Gemeinde zu informieren. Der Rauch floss in die Straße und wurde nur von ein paar eiligen Radfahrern durchschnitten. Die Feuerwehr trifft nach einer Stunde ein. Sehr gutes Timing, denke ich, und erfahre im Vorbeigehen, da ich dann doch schnell los musste, an den gelassenen quarzenden Kaiserinnen vorbei, die Ursache. Frau Opaschowski rief nämlich: „Anita hat die Kippe in den Papiercontainer geschmissen. Nix passiert.“
Auch recht wenig passiert ist am Wannsee während des jährlichen sommerfestlichen Klassentreffens der Literaturszene im Literarischen Colloquium. Da kreischten die Möwen, Kupferwasser plätscherte von Wind und Regen lässig in Stimmung gebracht an die Balustrade. Aber im Wesentlichen ist das Grillfest des literarischen Zirkels in diesem Jahr ohne Schrecken und Aufregung einfach passiert. Nur ein unschönes Wölkchen zog sich über dem Wannsee zusammen, sodass sich die lesenden Autoren des Verlags Schöffling & Co. in die Holzromantik der Villa zurückziehen mussten. Was der Stimmung generell nichts antun konnten. Man kennt sich hier und plaudert, schüttelt Hände und Gerüchte.
Dann geschah etwas. Jemand biss sich auf die Zunge oder Lippe, bei vorgehaltener Hand konnte man das nicht mehr genau erkennen. Blut floss nicht, dafür aber Aufmerksamkeit.
Sie fragen sich, warum so relativiert? So viel Kälte in der Tonlage? Sie fragen zu Recht!
Es könnte daran liegen, dass ich mir die ganze Sache am nächsten Tag noch einmal von oben ansah. Im C/O Berlin, Oranienburger Straße, hängen vom Fotografen Christoph Engel Fotografien, die er sich von Google-Earth ausgeliehen und ein bisschen zurechtgeschneidert hat. Die Satellitenbilder zeigen Golfplätze in der Wüste, kreisförmige und einförmige Vorstädte. Heraus kommt eine Landschafts- und Vorstadtoptik, bei welcher der Betrachter immer der Beobachter im Weltraum ist, auf diese sogenannte Erde heruntersieht, den Nachbar anstupst und sagt: „Haha, lustig, was sich diese Menschen ausgedacht haben. Eine ganze Erde mit Flickenmuster zu überdecken. Und wie die wohnen, schau mal, ekelig. Wie die sich wohl die ganze Zeit vertreiben?“
Herzliche Grüße aus dem Weltraumshuttle!