AUFGEKLÄRTE AKADEMIKERINNEN BEHERRSCHEN EISERN DIE ÜBERTEUERTE KREUZBERG-61-POSH-PLANSCHE : Eine schichtübergreifende Bruchstelle biodeutscher Mentalität
VON ULI HANNEMANN
Am Liquidrom schätze ich das buchstäblich entspannte, koedukative Klima. Das steht durchaus im Gegensatz zur einen oder anderen Therme dieser Stadt. Denn der herkömmliche Spanner ist nicht nur männlich, sondern passt auch nicht ins Besucherprofil des Liquidroms. Die überteuerte Kreuzberg-61-Posh-Plansche bildet somit einen atmosphärischen Schutzschild um sich selber – höchstens sickert mal, wie wir, ein wenig Gutschein-bewehrter Pöbel in die Phalanx aus intellektuellen Wellness-Ariern. So gibt es (Achtung, guter Tipp für Spanner!) in der Regel sogar einen leichten Frauenüberschuss.
Mit dem hat man es allerdings auch nicht immer leicht. Denn obwohl spezielle Schilder dagegen mahnen, markieren aufgeklärte Akademikerinnen tageweise Liegestühle mit ihrem Badetuch und sonstigem Unrat, um anschließend für Stunden zu verschwinden und das Ruhemöbel ungenutzt wie für andere unnutzbar zu hinterlassen. Neben dem Alltagsrassismus scheint das gierige Erschaufeln eines Vorteils um des Vorteils willen eine schichtübergreifend unausrottbare Bruchstelle biodeutscher Mentalität zu bleiben.
Und so sieht man uns schon am Morgen vergeblich nach zwei benachbarten Liegen mit Blick auf den Warmwasser-Pool durch den Ruhebereich streifen. Eine etwa gleichaltrige Frau, die ich bereits zuvor neben uns und anderen Gurken solo in der Salzlauge habe treiben sehen, spricht uns mitleidig an: Sie habe hier zwei Liegestühle, die dürften wir gerne vorübergehend belegen, bis sie diese, also ihre Liegestühle wieder benötige. Das sei sogar besser, als wenn die Liegen unbesetzt blieben. Denn mithilfe der hiermit vereinbarten Zwischennutzung sei die weitere Kontrolle über das Territorium noch eher gesichert, man wisse ja nie – die Leute, sagt sie und räumt beflissen eine Tasche, zwei Handtücher und ein Buch beiseite, um uns Platz zu schaffen.
Von dieser bizarren Mischung aus Nettigkeit und vollkommener Unverschämtheit entwaffnet, schauen wir einander verblüfft an: Das gibt es doch gar nicht, oder?
Konsterniert nehmen wir das Angebot an, konsterniert bedanken wir uns für gar nichts, konsterniert erholen wir uns eine Weile, konsterniert räumen wir danach freiwillig die Plätze, als sich die freundlich freche Frau im Hintergrund zu räuspern beginnt.
Sie lässt sich auf die eine Liege nieder und verteilt ihren Plunder auf die andere. Die Vermutung über ihren Begleitungsstatus erhärtet sich nach stundenlanger Observation von unseren billigen Notplätzen aus zur Gewissheit: Die Zweiliegenfrau ist alleine hier und wird für den Rest des Tages auch alleine bleiben.
Kein Wunder. Ich wollte mit so einer mega-asozialen Drecksziege auch nicht zusammen sein, aber das hat ja leider nichts zu sagen. Kaputtes Deckelchen auf schmutziges Töpfchen – so etwas hat schon immer funktioniert, da geht in jedem Falle was: Robert und Grace Mugabe, Skylla und Charybdis, Adolf Hitler und Eva Braun. Vielleicht trifft sie ja noch hier und heute in der Sauna einen feigen und brutalen Massenmörder, der davon überzeugt ist, stets nur eine Art Sterbehilfe nach ethischen Grundsätzen zu leisten. Der würde echt gut passen, und dann hätte sie für den Liebsten immerhin schon einen Liegestuhl.