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Archiv-Artikel

AUF DER FAHRT DURCH MITTE SIND WIR FROH, DASS DIE EINWOHNER DER STADT ENDLICH MIT DER REVOLTE BEGINNEN Wie der türkische Taxifahrer sagt: Lange Rede, kein Problem

VON TIMO FELDHAUS

AUSGEHEN UND RUMSTEHEN

Durch die hiesige Modewoche bewegt man sich am besten wie die Protagonisten des zu Unrecht wenig bekannten Berliner Regisseurs Thomas Arslan: behutsam, mit aufmerksamem Blick, nicht wissend, was dort vor einem liegt, in der unmittelbaren Zukunft.

Noch nie ist so viel passiert während einer Fashion Week. Aber wie der türkische Taxifahrer nach einer Nacht im Technoclub About Blank und dem Monolog meines betrunkenen Freundes philosophisch und pointiert verspricht: „Lange Rede, kein Problem.“ Seit dieser Woche hat Berlin wieder einen Stil. Die Vogue-Chefin protegiert ihn, die bürgerlichen Zeitungen sind begeistert: Eine junge Designgeneration aus Michael Sontag, Perret Schaad, Sissi Goetze und Hien Le besticht durch Schlichtheit und Glätte, weiß und rein. Statt Nachtleben und Rock ’n’ Roll setzen sie auf Bodenhaftung und Wachheit und geben Berlin zum ersten Mal seit zehn Jahren ein nachvollziehbares Gesicht.

Patin ist nicht mehr Penis-Peaches, sondern die strenge Eleganz der Jil Sander aus Hamburg. Vladimir Karaleev wirkt mit seinen ungesäumten Enden und fragilen Drapierungen neben den Neusachlichen wie ein Melancholiker, der den Zweifel und das Unbehagen so poetisch wie kaum einer ins Kleid setzt. Am Rande von Kostas Murkudis stehen das Model Bonny Strange und ihr Mann Wilson Gonzalez Ochsenknecht. Feingliedrig und riesengroß, mit viel zu hohen Wangenknochen und viel zu vollen Lippen sehen sie superfuturistisch aus und diskutieren die musikalische Untermalung des Soundartisten Carsten Nicolai.

Auf der Fahrradfahrt durch Mitte sind wir froh, dass die Einwohner der Stadt endlich mit der Revolte beginnen. Später verstehen wir, sie stürmen die Shops bekannter Marken nur, um sich für das Freibier anzustellen. Überall bilden sich Trauben, in denen einzelne aus dem dem just erschienenen Strassenfeger zum Thema „schön“ vorlesen. Später treffen wir uns am Times, der kürzlich eröffneten Bar mit Kellerdisko. Das Times ist sozusagen die nachträglich ins Leben gerufene Keimzelle der Expat-Amerika-Künstler, die zwischen Lebenskunst und Internetart in den letzten zwei Jahren von Neukölln aus die coolste Gemeinschaft dieser Stadt stellte.

Witch-House-Hipsterism, Globalshanzai, runtergepitchter Rap und Jutebeutel-Moves wurden unter ihren Händen zur zeitgenössischsten Ästhetik, die man aus dem Internet holen und dort auch wieder hinstellen kann. Nun ist es so weit: Ihre Kunst verkauft sich in großem Stil, aber die wohlerzogenen, in stylische Lumpen und hochaufgerüstete Laufschuhe gekleideten Eliteschüler, sie werden nun weniger hip sein. Der Peak hat in in der umstrittenen Leistungsschau „based in berlin“, die eigentlich nur ihre Ausstellung ist, seinen modischen Höhepunkt erfahren.

Wie ein Nomadenstamm aus längst vergessener Zukunft wischen sie auf ihren iPhones und murmeln in einem elegischen Singsang über Tumblr-Bildblogs. Es ist nun Zeit zu gehen, einfach weil die Mode es so will, und das wissen diese jungen Leute intuitiv natürlich am allerbesten. Nun wird man sich womöglich im Prince Charles im Aufbau-Haus am Moritzplatz treffen oder im KTV auf der Chausseestraße, beides brandneue Clubs, die auf geschmackvolle Partykonsumenten mit Anspruch setzen.

Auch hier führt man Gespräche, die auf Originaltexten deutscher Internetforen basieren, auch hier sieht man seine Seele am blinden Fleck des sozialen Orkans erodieren. Ein aufgebrachter Idiot versucht die Meute zu überzeugen, warum wir nicht preisgeben dürfen, was über Jahrtausende zum Maßstab der Zivilisation geworden ist. Jemand antwortet dem Schwachsinnigen trocken, dass er sein bald erscheinendes Album „I’m Gay“ nennen wird, einfach aus dem Grund, weil er nicht schwul ist. Alles wird gut, und alles wird anders sein.

Am vergangenen Freitag teilte die Volksbühne den Tod Maria Kwiatkowskys mit. Die 26-jährige Ausnahmeschauspielerin starb aufgrund eines Herzstillstands. Vor vielen Jahren zündete sie aus „privater und beruflicher Frustration“ in Prenzlauer Berg eine Kindertagesstätte an. Wir werden sie lange nicht vergessen.