piwik no script img

Archiv-Artikel

AUF DEM WEG ZUR ARBEIT MÖGLICHST LANG DURCH GRÜNZONEN RADELN Der neue Park am Gleisdreieck macht es möglich

Westwärts, ho!

VON DIRK KNIPPHALS

Neuer Ehrgeiz: auf ganz normalen Wegen – zur Arbeit, ins Kino, zu Verabredungen – möglichst lang durch Parks radeln. Von Schöneberg aus in Richtung Mitte geht das schon lange sehr gut. Man radelt die Maaßenstraße runter (bzw. kämpft sich da durch; das ist eine dieser Berliner Straßen, auf denen ein täglicher Kleinkrieg zwischen Fahrradfahrern und Fußgängern herrscht), dann hinterm Nollendorfplatz die Else-Lasker-Schüler-Straße rein, dann am Straßenstrich vorbei, einmal rechts, gleich wieder links, dann über den Landwehrkanal und am Bendlerblock lang – und dann kann man quer durch den Tiergarten bis ran ans Brandenburger Tor fahren (Dank an Wiebke P., die mir diese Strecke mal gezeigt hat).

Allein das knirschende Geräusch der Fahrradreifen auf dem unasphaltierten Boden lohnt den kleinen Umweg. Die Strecke durch den Tiergarten ist wirklich schön: Momente des Durchatmens, raschelnde Bäume, romantische Parklandschaft – alles drin. Und nachts ist die Fahrt sogar ein kleines Abenteuer. Nicht dass jemals irgendetwas passiert wäre. Aber man ist als Mensch halt so konstruiert, dass ein fahler Lichtschein, der über Bäume streift – und genau das erzeugt man ja mit seiner Fahrradlampe –, automatisch einen leichten Grusel auslöst. Wenn dann dazu noch die Baumstämme im Wind knarzen, wird so eine alltägliche Tour zu einem panästhetischen Trip.

Seit einigen Wochen kann ich nun auch meinen täglichen Arbeitsweg auf solche Weise interessanter gestalten, der neue Park am Gleisdreieck macht es möglich. Hinter den Yorckbrücken links die Rampe hoch, da empfangen einen schon Birkenwäldchen und Freiflächen. Wenn ich dann noch am Technikmuseum entlangfahre und schließlich über die Anhalter Brücke rolle, kann ich auch noch den kleinen Park hinterm Tempodrom mitnehmen und bin schließlich schnell am Anhalter Bahnhof. Von da aus zur taz ist es nur noch ein kleines Stück.

Es ist durchaus eine Form von Glück, inmitten der Großstadtlandschaft solche Wege zu entdecken. Gelegentlich halte ich noch an, stelle mein Fahrrad ab und schaukle in dem neuen Park ein paar Minuten lang. Die Schaukeln sind so konstruiert, dass man hoch und wild schaukeln und dabei weit blicken kann – das sind, glaube ich, die Momente, die eine zeitgemäße Stadtplanung inzwischen unbedingt berücksichtigen muss. Eine Metropole, in deren Zentrum man schaukeln kann, kann nicht ganz falsch sein!

Bei der Kreuzberger Wiese hängen in diesem neuen Park ein paar Schautafeln, die anzugucken unbedingt lohnt. Man bekommt einen guten Eindruck, was alles zusammenkommen musste, damit dieser Park entstehen konnte. Einst war das alles ja Bahngelände. Seit dem Zweiten Weltkrieg wuchsen aber jahrzehntelang Birken und Sträucher durch die Gleise – Berlinveteranen erzählen, wie sie in den Achtzigern über die Zäune stiegen, um auf diesem verwildernden Gelände Holz zu sammeln. Dann gab es die Autobahnpläne für eine Westtangente; wahrscheinlich kann man die Geschichte Westberlins ja sowieso ein Stück weit entlang von Autobahnplänen und dem wachsenden Widerstand gegen sie seit den siebziger Jahren erzählen. So auch hier. Auf den Schautafeln sieht man unter anderem ein rührendes Foto einer kleinen Initiative von 1981, die tapfer ihre Parkutopie vertrat. Inzwischen kann man feststellen: Sie hat gewonnen!

Auch wenn sich viele Parkaktivisten nun gar nicht wie Sieger fühlen. Bei der Konzeption des Parks mussten wiederum Kompromisse gemacht werden, manche Bäume fielen der – wie manche meinen – „geschichtslosen“ Liegewiese zum Opfer. Aber, hey, ich möchte diesen Aktivisten danken. Fast täglich, mit meinem treuen Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit.