AUCH DIE VEREINTEN NATIONEN ZÜNDELN MIT AM NEUEN KRIEG IM KONGO : Vorwände für Hitzköpfe
Ungelöste Nationalitätenfragen sind Sprengstoff für Krisengebiete. In kaum einer Region der Welt ist das so offensichtlich wie im Afrika der Großen Seen. Vor zehn Jahren führte in Ruanda der Hass der Hutu gegen die Tutsi zum Völkermord. Im Kongo war der Hass gegen eine einst aus Ruanda eingewanderte Minderheit eine der Triebkräfte des Krieges: Die „Banyarwanda“ wurden entrechtet und zum Teil nach Ruanda vertrieben. Dass einige von ihnen bewaffnet zurückkehrten, führte zum großen Kongokrieg, an dem sich halb Afrika beteiligte. Wenn heute also im Ostkongo erneut Banyarwanda fliehen müssen, ist höchste Alarmstufe geboten. Pogrome im Kongo, die ein erneutes Eingreifen Ruandas nach sich zögen, wären der Startschuss für einen weiteren Krieg in Zentralafrika.
Was die UN-Kommandanten bei den Kämpfen in Bukavu in der letzten Woche veranstalteten, zeugt nicht von historischer Einsicht. Sie gingen gegen meuternde, ebenfalls ruandischstämmige Banyamulenge-Soldaten vor – taten aber nichts zum Schutz der Zivilisten aus dieser Volksgruppe, die von kongolesischen Regierungstruppen gejagt wurden. Es wird Stimmen geben, die zwischen dieser Parteinahme und dem Besuch des für Friedensmissionen zuständigen französischen UN-Untergeneralsekretärs Jean-Marie Guéhenno in Bukavu einen Tag vor Ausbruch der Kämpfe einen Zusammenhang herstellen. Die Beziehungen zwischen Frankreich und Ruanda sind seit den neuen Kontroversen um Frankreichs Rolle beim ruandischen Völkermord wieder einmal auf einem Tiefpunkt angelangt. Hitzköpfen in Ruanda wird es nicht schwer fallen, unter diesen Bedingungen Vorwände für eine weitere Kongo-Intervention zu finden.
Es bleibt die Hoffnung, dass es so weit nicht kommt. Dazu jedoch müssten die UN einen Schritt in Richtung Deeskalation tun. Zudem müsste endlich die Frage beantwortet werden, ob die ruandischstämmige Minderheit im Kongo ihre Bürgerrechte zurückerhält. Das ist eine der vielen Streitfragen, die in der Eile des Friedensprozesses vergessen wurden, von deren Lösung jedoch dessen Erfolg abhängt. DOMINIC JOHNSON