ASCHERMITTWOCH 2005: EIN ANDERES ABSTINENZPROGRAMM : Fastenzeit statt Vorwurfsvöllerei
Dass die Politik uns jeden Spaß verderben will, daran haben wir uns gewöhnt. Jetzt macht sie uns auch noch die Fastenzeit kaputt. Traditionell stehen die 40 Werktage ab dem heutigen Aschermittwoch im Zeichen des Verzichts; an der evangelischen Kirchenaktion „7 Wochen ohne“ beteiligen sich bundesweit mehr Menschen, als man es in einer säkularen Gesellschaft vermuten könnte. Doch wozu lohnt es sich, das Verzichten zu zelebrieren, wenn schon Hartz IV die Entsagung zur Staatsraison erhebt?
Tagtäglich werden wir von unseren Politikern mit Appellen zum Verzicht bombardiert: Studenten auf die Gebührenfreiheit, Arbeitnehmer auf die Kündigungsfrist, Arbeitslose auf die Arbeitslosenhilfe. In früheren Jahren zog die zeitlich begrenzte Abstinenz ihren Reiz aus der Fülle des Alltags, aus der Überflussgesellschaft der alten Bundesrepublik. Ist nicht im Hartz-IV-Land allezeit Fastenzeit?
Nein, die Verzichtsrhetorik der Riege Schröder, Clement, Merkel, Westerwelle hat mit Askese nichts gemein. Das Fasten beruht auf Freiwilligkeit – und auf seinem Charakter als Ausnahme. So gesehen ist das Hartz-IV-Regime das Gegenteil von Fasten: Es gilt immerdar und verpflichtend für alle.
Das Abstinenzprogramm 2005 könnte daher zur Abwechslung anders ausfallen: Die Politiker verzichten auf die Verzichtsappelle. Im Gegenzug verschonen dann die Medien die Politiker mit der Unterstellung, vor allem auf den eigenen Vorteil aus zu sein. Und die Bürger schenken sich das stete Jammern. Auf diese Weise würde die Mediengesellschaft kurzerhand ihre größte Schlemmerei aussetzen: die Vorwurfsvöllerei. Was auf der politischen Bühne das ganze Jahr hindurch an gegenseitigen Beschuldigungen aufgetischt wird, davon kann noch dem robustesten Magen übel werden.
Es würde ein Innehalten geben. Und dann? „Wo Entsagung ist, ist Platz für Neues“, verspricht die Fastenaktion der Kirche. Vielleicht würden wir ja auf ganz neue Gedanken kommen, wenn uns nicht immer das gleiche Geplapper beschäftigen würde. Vielleicht wäre aber auch einfach nur ein paar Wochen Ruhe im Karton. Auch nicht schlecht.PATRIK SCHWARZ