■ ARTUR, BERLINOID: Landleben
Gar nicht weit vom Bodensee, in der Nähe von Ravensburg, leben Freunde von Artur mit Kindern, Katzen, Pferden und auch Hühnern auf einem Bauernhof, und sie müssen, betont Artur immer wieder, die allergrößte Sparsamkeit obwalten lassen.
Für die Fütterung der Hühner haben sie eine ebenso preiswerte wie plausible Lösung gefunden: Die Brotfabrik, in der auch Kuchen gebacken wird, verkauft die trockenen Reste der nicht abgesetzten Produktionen nach Kilogramm berechnet, statt sie auf den Müll zu werfen, und das ist gut für Menschen und für Tiere. Allerdings gibt es ein ganz kleines Problem, und das ist der Herr V., der Lagerverwalter und gleichzeitig Wiegemeister für Brot- und Kuchenreste. Herr V. ist ein Abbild von Akkuratesse. Tadellos gebügelter grauer Kittel, immer glänzend gewienerte Stiefel, Scheitel im Brillantinehaar wie mit dem Beil gezogen und eine bifocale Goldrandbrille. Und Herr V. will in der Würde seiner Aufgabe wahrgenommen und angesprochen werden, sehr persönlich und sehr freundlich, sonst läuft überhaupt nichts.
Artur wollte mal eine Kiste altbackenen Brotes kaufen, aber er kehrte unverrichteter Dinge wieder auf den Hof zurück. Herr V. hatte ihn streng über seinen Brillenrand fixiert, so als stelle Artur völlig abwegige Forderungen, und ihm schlicht den Verkauf von Altbrot verweigert. »Hier ist eine Brotfabrik, mein Herr. Wir backen auch Kuchen. Altes Brot verkaufen wir nicht. Wie kommen Sie bloß darauf?« hätte er ihn brüsk abgefertigt. G. schmunzelte vergnügt, setzte den klapprigen R4 in Gang und war nach einer halben Stunde, die Ladefläche mit Brotkästen vollgestellt, wieder zurück. »Nein«, habe Herr V. auch zu ihr gesagt, »wir haben hier kein altes Brot!« Und er habe dabei so charmant gelächelt, wie all die Male vorher auch schon immer, nicht klebrig, sondern wohlgefällig. Sie habe dann, auch wie immer, ganz zart und betont fraulich geantwortet: »Ooch Mönsch, Herr V., das ist aber schade. Wirklich nicht?« Das gehört dazu, berichtete G. lachend weiter. Dann muß ich ein bißchen schmollen und ihn bitten: »Herr V., seien Sie doch nicht so, das ist doch für meine Hühner!« Dann glänzen seine Augen, er beugt sich vor und fragt angelegentlich: »Für Ihre Hühner, ja?!« und er freut sich über seine Macht, und seine Augen blitzen. »Naja, woll'n mal sehen, was sich machen läßt«, sagt er dann immer, und G.: »Au ja, Herr V., wenn Sie so lieb sein wollten...« Und Herr V. erwidert: »Vielleicht kann ich ja heute mal 'ne Ausnahme machen.« So geht das seit Jahren. »Dann stapelt er leere Kisten, holt die neue mit den Brotresten, wiegt sehr sorgfältig auf der Sackwaage ab, schaut mich mit schiefgelegtem Kopf noch einmal freundlich an, rechnet den Preis aus und stellt blitzschnell noch eine weitere Kiste ohne Berechnung obendrauf. Er hilft auch beim Einladen, streift mal ganz zufällig meinen Arm, sagt dann ganz verschämt: ‘Oh, Pardon‚, und macht zum Abschied eine kleine Verbeugung.« »Und warum habe ich kein Brot bekommen?« fragt Artur ärgerlich. »Nun«, meint G. immer noch lächelnd, »Herr V. verkauft eben nur an Frauen. Und ich sage kurz vorm Abfahren immer: ‘Sie waren heute wieder so nett zu mir, Herr V.‚ Das freut ihn, und er winkt mir hinterher und ruft: ‘Vergessen Sie nicht, die Kisten nächstes Mal wieder mitzubringen!‚« Clemens Walter
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