piwik no script img

Archiv-Artikel

ARNO FRANK über GESCHÖPFE Meine Hunde im Himalaja

Wer Köter keulen will, braucht eine richtige Keule. Vor allem, wenn er von Buddhisten umzingelt ist

Die folgende Kolumne würde, wenn’s nach mir ginge, niemals geschrieben werden. Manche Geschichten aber wollen sich selbst erzählen. Sie quengeln so beharrlich, bis man sich ihrem Willen beugt und dann doch erzählt, was sich damals ereignet hat im fernen Königreich Ladakh.

Ladakh ist ganz leicht zu finden, denn es liegt im allernördlichsten Zipfel Indiens, mitten im Himalaja, direkt an der Grenze zu China. Die Hauptstadt Leh ist durchzogen von einem Geflecht aus schmalen, knietiefen Bewässerungskanälen, mit denen die meistenteils buddhistischen Bewohner der trockenen Landschaft auf 3.500 Metern ihre hübschen Gemüsegärten abtrotzen.

Zuerst fielen mir die fünf Welpen auf, kleine Pelzbüschel mit Knopfaugen und feuchten Nasen, als ich rucksackbepackt den Pfad hinaufschnaufte zu meiner Pension. Dann erst sah ich die Hündin, eine Straßenköterin in erbärmlichem Zustand. Offenbar war sie beim Versuch, ihrem lebhaften Nachwuchs zu folgen, in einem stacheldrahtbewehrten Gartenzaun hängen geblieben. Ihre Hinterläufe knickten immer wieder weg, als hätte sie keine Kontrolle mehr darüber. Und obwohl die Stacheln schon tief in ihrem sonnengelben Fell steckten, drängte die Hündin weiter vorwärts, sich dabei langsam selbst die Haut vom Leibe ziehend, hechelnd. Zwei Handbreit glattes, glänzendes Fleisch waren so schon zum Vorschein gekommen, und ich beeilte mich entsetzt, dieses grausame Elend hinter mir zu lassen. Buddhisten töten keine Tiere. Nicht einmal dann, wenn die Tiere es sich womöglich wünschen würden. Und ich schon gar nicht.

Die Pension war ein Bungalow mit Garten. Der Clou war, wie überall in Ladakh, die Toilette: ein sandgefüllter Raum im zweiten Stock mit einem quadratischen Loch in der Mitte, durch das man hinabkackt, nicht in eine Sickergrube, sondern in einen meist verschlossenen Raum im Erdgeschoss.

Nachdem der Inhalt meines Magens erfolgreich dieser bizarren sanitären Anlage überantwortet war, plauderte ich ein wenig mit dem einzigen anderen Gast, einem langhaarigen österreichischen Naturburschen, der per Motorrad unterwegs war: „Hast du auch diesen armen Hund da draußen gesehen? Sah aus, als ob er gelähmt wäre …“ – „Ach, der lebt noch?“, fragte er bestürzt: „Der ist mir gestern früh vors Motorrad gelaufen …“ – „Vielleicht solltest du sein Leid beenden?“ – „Hm, ja, okay, kein Problem, ich komm vom Land und weiß, wie so was geht …“

Beruhigt legte ich mich aufs Ohr, wachte aber bald von einem penetranten Geräusch auf, das ich für das Quietschen des Gartentürchens gehalten hatte. War es aber nicht, wie ich beim Blick aus dem Fenster feststellte: Die Hündin hatte sich aus ihrer Falle befreit und robbte nun, unter Schmerzen winselnd, durch einen der kleinen Kanäle, auf der Suche nach Futter, umwuselt von ihren fünf Welpen. Ich stürmte in das Zimmer des Österreichers und forderte: „Mach ein Ende, Arschloch, mach es jetzt!“ – „Alles klar“, sagte der Junge vom Land, drückte seinen Joint aus und ging nach draußen. Eigentlich wollte ich mir das nicht anschauen, aber dann sah ich ihn auf der Bruchsteinmauer stehen, unter dem das Kanälchen dahinplätscherte. Sah, wie er einen großen Stein hob. Sah, wie er ihn hinabschleuderte auf die Hündin – und sie nicht traf, nicht richtig jedenfalls, nur so halb. Und niemals habe ich eine Kreatur ein solches Geräusch machen hören. Ein Geheul aus Protest und Schmerz und Todesangst, das mir auf der Stelle alle Sicherungen durchbrennen ließ.

Ich weiß noch, dass ich mir die Schaufel schnappte, die ich im Garten gesehen hatte. Ich weiß noch, wie ich die verwirrten Welpen aus dem Weg kickte. Ich weiß noch, wie die zerschmetterte Hündin aufblickte zu mir, als ich mit dem Spaten ausholte – wobei die Eisenschaufel sofort in hohem Bogen wegflog. Ich spürte sofort, dass der Stock ohne die schwere Schaufel am Ende zu leicht war, um damit einen Hund zu erschlagen. Ich weiß noch, dass ich trotzdem zuschlug, direkt zwischen die Augen. Einmal, zweimal, dreimal. Je nutzloser mein Geprügel schien, umso wütender hieb ich auf die Hündin ein. Irgendwann bekam ich meinen Fuß zwischen ihre Schulterblätter. Und drückte sie unter Wasser, bis das Zucken aufhörte und keine Blasen mehr kamen.

Als ich wieder zu mir kam, sah ich mich von verständnislosen Buddhisten umringt: „Did that dog attack you?“

Der Österreicher hielt mir den Mob vom Leib, während ich den Kadaver im Nacken packte und abseits ins Gebüsch warf. Die Welpen? Werden verhungern, dachte ich, das ist der beschissene Lauf der verdammten Dinge.

Eine Woche später sah ich sie zufällig wieder, alle fünf Hündchen. Sie tollten lebhaft durchs Dickicht und zankten sich spielerisch um einen blutigen Fetzen aus Fell. Es war sonnengelb. Und irgendwie gut so, glaube ich.

Fotohinweis: ARNO FRANK GESCHÖPFE Fragen zum Keulen? kolumne@taz.de Morgen: Josef Winkler in der ZEITSCHLEIFE