ARNO FRANK über GESCHÖPFE : Arabiens Antwort auf die Hitze
Okay, es ist ein Männerkleidchen. Aber es kann trotzdem dein Leben ändern. Oder eben deswegen
Bei den derzeit obwaltenden Temperaturen empfiehlt es sich, den Körper nicht zu überfordern. Wer die klugen Ratschläge beherzigt, der trinkt genug Wasser, nimmt nur leichte Nahrung zu sich und beschränkt sich in seiner Motorik auf die wenigen wirklich überlebenswichtigen Handlungen. Was dazu führt, dass wir uns bald wie in Zeitlupe durch den Alltag bewegen, als wären wir mit schwierigen Schweißarbeiten beschäftigte Tiefseetaucher – nur eben nicht mit Helm und Druckanzug, sondern in der allseits empfohlenen „luftigen Kleidung“.
Was genau nun aber „luftig“, was „Kleidung“ und was tragbare „luftige Kleidung“ sein soll, darüber werden die meisten Menschen im Unklaren gelassen. Mit offenbar katastrophalen Folgen für das Abendland. Kein Sommer vergeht, ohne dass in der Zeit oder der Frankfurter Allgemeinen ein stilsicherer Feingeist den ästhetischen Ausnahmezustand auf Straßen und Plätzen in aller Schärfe verurteilt. Beklagt wird dann gerne die welke, picklige, bleiche, behaarte oder beschriftete Haut. Oder die Dreistigkeit, mit der der Pöbel sein Fleisch in die Sonne hängt, auf die Brüstungen der Balkone stemmt oder aus dem offenen Autofenster baumeln lässt. E-kel-haft!
Dabei ist es völlig egal, ob diese modischen Pamphlete nun hochtrabend, humorvoll oder im hohen Ton der Gesellschaftskritik daherkommen – im Grunde spricht daraus immer nur der Frust eines Peepshow-Besuchers, der nicht auf seine Kosten gekommen ist. Weil aber ein Bus kein Puff und ein Supermarkt kein Straßenstrich ist, darf guten Gewissens der Busfahrer seine Boxershorts und die Kassiererin ihr Negligé tragen. Zumindest dachte ich das immer.
Gestern nun erschien der Kollege K. erstmals in kurzen Hosen zur Arbeit. Wäre mir nie aufgefallen, wenn er nicht folgende Erklärung abgegeben hätte: „Damit wir uns richtig verstehen: Ich hasse kurze Hosen und finde behaarte Männerwaden schrecklich. Aber die Hitze zwingt mich vorübergehend dazu, meine eigenen Überzeugungen zu verraten. Ich bin ein Wurm …“
Okay, für einen lüsternen Blick auf seine blassen Waden würde ich keine Münze investieren. Aber sooo schlimm war es auch wieder nicht. Oder doch?
„So’n Quatsch“, belehrte mich meine Freundin H., die ihr Geld als Männermodemacherin verdient bzw. eben nicht verdient, weil die meisten Männer zu verunsichert sind für ihre gewagten Kreationen: „Das ist ein typisches Männerproblem, diese Verunsicherung über das eigene Image! Dabei kann ein Rock an Männern wirklich sagenhaft aussehen …“, vor allem an sagenhaft aussehenden Männern, es ist halt ein Teufelskreis.
Dabei bin ich selbst im Besitz der Lösung aller Probleme. Ein Kleidungsstück, das ich mir in meinem Übermut vor drei Jahren in der jordanischen Wüste gekauft hatte, nur um es für immer in die Tiefen meines Kleiderschranks zu verbannen. Es handelt sich um einen Dishdash, Arabiens Antwort auf alle Fragen, die der Europäer nie stellen musste – bis zu diesem Sommer.
Einen Dishdah muss man sich vorstellen wie ein weißes handelsübliches Herrenhemd – mit dem Unterschied, dass es am Körper herabfließt und erst auf Knöchelhöhe endet. Neben seiner schlichten, fast sozialistischen Eleganz besticht das Dishdash durch seine geniale Röhrenförmigkeit, die stets eine leichte Brise gewährleistet. Unten weht’s rein, oben weht’s raus.
Vom schlichten Ziegenhirten an der Landstraße bis zum distinguierten Geschäftsmann in der Hotel-Lobby gibt es in Jordanien keinen Mann, der ohne Not auf dieses geniale Stück verzichten würde. Es sieht eigentlich immer sauber aus und wirkt, im Gegensatz zum Rock, vollkommen unschwul, was in Arabien ja nicht unwichtig sein soll.
In der erdrosselnd schwülen Bullenhitze meiner eigenen vier Berliner Wände trage ich nun schon seit einer ganzen Weile nichts anderes mehr als meinen Dishdash. Erst am vergangenen Samstag wagte ich mich mit meinem Herrenkleidchen raus, auf die Straße, im Schutz der Dunkelheit und im Fahrwasser des CSD, hihi. Luftige Kleidung? Ich werde nie wieder derselbe sein.
Fotohinweis: ARNO FRANK GESCHÖPFE Geschmacksfragen? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN