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ARD-Spielfim "Keine Angst"Mauern gegen den Abstieg

Aelrun Goettes Spielfilm "Keine Angst" zeigt die tiefe Kluft zwischen Milieus in Deutschland - und kommt damit zur richtigen Zeit (Mi., 20.15 Uhr, ARD)

Nach außen gibt Melanie (Carolyn Sophia Genzkow) die Königin im Kiez. Doch in ihrem Innern ist sie sehr verletzlich. Bild: ard

"Die können ruhig was tun für ihr Geld und nicht nur rumsitzen und immer dicker werden. Die sollte man bemühen, das hier wegzuschaffen."

"Die", das sind die anderen, die Hartz-IV-Empfänger. "Das hier" sind die Dreckhaufen, die der Winter auf den Straßen von Berlin zurückgelassen hat. Und angesichts der Kälte, mit der sich die Berliner in einer Straßenumfrage bei Anne Will äußerten, hätte man glauben können, dass diese kaum einen Unterschied machen zwischen Straßendreck und Hartz-IV-Beziehern. Ein Bürgerärgernis, befeuert durch eine unwürdige Polit- und Boulevarddebatte über "altrömische Dekadenz" und den von Presse und Fernsehen zum "faulsten Arbeitslosen" erkorenen Arno Dübel. Auch Aelrun Goette hat die Sendung gesehen. Sie weiß: "Keine Angst" kommt genau zur richtigen Zeit.

Es ist die Geschichte der 14-jährigen Becky (Michelle Barthel), die in einem sozialen Brennpunkt aufwächst. Ihr Alltag ist bestimmt von Gewalt, Armut und Verzweiflung: Mutter Corinna (Dagmar Leesch) ist alkoholkrank und hat sich aufgegeben. Becky kümmert sich um die drei kleinen Geschwister und hält die Familie selbst dann zusammen, als der aggressive Thomas (Frank Giering) in die unentrinnbare Enge der Sozialwohnung zieht. Nur wenige Stunden zuvor hatte die Nachbarin ihn rausgeschmissen.

Goette sagt dennoch, dass "Keine Angst" ein positiver Film sei: "Er erzählt von der Chance, Grenzen zu überwinden. Die Hoffnung liegt in der Kraft der Jugendlichen, die mit ihrer Liebe Mauern einreißen." Diese Liebe ist die zwischen Becky und Bente (Max Hegewald), einem Jungen aus einer anderen Welt mit überfürsorglichen Eltern und eigenem Zimmer im Reihenhaus.

"Die Erwachsenen sind nicht böse, aber gefangen in ihren Strukturen", betont Goette. "Aber die Jugendlichen haben einen unbedingten Lebenswillen, deshalb haben sie die Kraft, diese Grenzen zu überwinden. Und deshalb ist diese Liebesgeschichte realistisch."

Goettes Filme bewegen sich stets an Abgründen. Sie zwingt den Zuschauer, ihrem Einblick bis zur Grenze des Erträglichen zu folgen. In der Dokumentation "Die Kinder sind tot", die den deutschen Fernsehpreis erhielt, porträtierte sie eine überforderte Mutter, die in einer Hochhaussiedlung in Frankfurt/Oder ihre Söhne für Tage allein zurückließ, bis sie verdursteten. "Keine Angst" bewegt sich an der Grenze zwischen Dokumentar- und Spielfilm. Goette kennt das Milieu: Für "Die Kinder sind tot" lebte die 43-Jährige eineinhalb Jahre in einer solchen Hochhaussiedlung. "Ich kenne diese Welt von innen, ich weiß, wie sie riecht, schmeckt und klingt."

"Keine Angst" ist deshalb frei von Sozialromantik und Prekariatsklischees. Dazu passt, dass der Film nicht in Berliner Plattenbauten spielt, sondern in den sozialen Brennpunkten Kölns. Ein Teil der Jugendgang wurde in Köln-Porz gecastet: "Das war ein großer Gewinn. Es ist ihr Alltag. Und den haben sie in den Film eingebracht. Am Anfang waren sie misstrauisch und haben uns beschimpft. Ich hab das verstanden und uns in der Pflicht gesehen, sie davon zu überzeugen, dass wir keinen schmutzigen Film über eine schmutzige Welt machen wollen."

Auch das macht die authentische Kraft und Würde des Films aus. Goette sagt, sie wolle "Begegnungswelten schaffen", ein Fenster öffnen zu einer Welt, die die meisten nur aus Statistiken oder Talkshows kennen. Sie zeigt Gewalt und Chaos schonungslos, aber nicht voyeuristisch. Sie macht damit Strukturen erkennbar - und individuelles Leid. "Keine Angst" ist auch Spiegel des bürgerlichen Milieus: "Aus Angst vor dem Abstieg bauen wir Mauern aus Vorurteilen um uns auf. Diese Angst beherrscht inzwischen die deutsche Mittelschicht. Es gibt keine Begegnungen mehr, die Grenzen werden immer undurchdringlicher."

Besonders deutlich wird dies in den Begegnungen mit Bentes Eltern. Es ist eine harmlose Szene, in der Becky mit Bente und seinen Eltern am Kaffeetisch sitzt. Doch die Sprachlosigkeit ist unerträglich. Weniger harmlos ist Beckys spätere verzweifelte Flucht zu Bente, nachdem sie von Thomas vergewaltigt wurde. Sie trifft am Gartentor auf Bentes Mutter, deren Sohn auf dem Weg ins Internat ist, in das ihn seit Vater überstürzt stecken will. Sie drückt Becky 50 Euro in die Hand. "Du Fotze" ist ihre Antwort darauf.

Aelrun Goette sagt, ihre Filme geben keine Antwort. Aber sie wünscht sich, "dass sich die Leute von der Geschichte berühren lassen". Dass sie nachdenken darüber, "wie wir unsere Mauern wieder öffnen können." "Keine Angst" - der Titel ist eine Aufforderung.

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25 Kommentare

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  • N
    Nikosch

    Der Film ist vor allem sehr... mitreißend und bewegend!

    Auf mich wirkte er phasenweise unglaublich realistisch. Im Schönen, wie im Schrecklichen. Ich begreife ihn in erster Linie als einen sehr gut gelungenen Liebesfilm in trostloser Umgebung. Ein Film der zeigt, wieviel Kraft, wieviel Liebe nötig ist um seinen Träumen treu zu bleiben und die Hoffnung nicht zu verlieren.

     

    Aber in jedem Fall kein Film für Menschen die durchs Fernsehen der Realität zu entkommen versuchen!

     

    Mich lässt der Film nicht mehr los!!!

  • N
    Nancy

    Der Film "Keine Angst" hat mich sehr berührt. Er ist ergreifend und zeigt die bittere Realität. Einige Situationen im Film erinnern mich sogar an meine eigene Jugend, die noch nicht so lange her ist. Ich wünschte, dass das deutsche Fernsehen viel mehr solche Filme zeigt. Damit auch ein gewisses Verständnis von anderen Klassen und Schichten aufgebracht wird. Hollywood-Filme mit HappyEnd sind reine Illusionen und manipulieren die Menschen... Warum nicht endlich die Wahrheit ans Tageslicht bringen?! Nämlich das ist Deutschlands Brennpunkt! Hoffnungsvolle Grüße aus dem Hochhaus!

  • K
    Kristin

    Hallöchen,

     

    ich konnte nur den Schluss sehen und suche gerade den Film oder ob irgendwo was steht wann Sie den Film wiederholen.. Kann mir da jemand vielleicht weiter helfen... Will den unbedingt vom anfang an sehen!!!

    Liebe grüße und eine gute nacht

  • M
    Molly

    Wann wird der Film nochmal ausgestrahlt?

  • A
    Annika

    Hey,

     

    konnte leider nur den Anfang von dem Film angucken, und suche jetzt verzweifelt im Internet nach diesem Film. Weiß vielleicht jemand wo man sich diesen Film anschauen kann??Wäre echt gaaaaaaaanz toll =)

     

    Danke

  • M
    MartinusEx

    Leider nur zu realistisch.

    Sehr berührend und schwer zu ertragen, weil es eine Realität ist, an der ich jeden Tag vorbeifahre.

    Ein guter Film, den ich mir wahrscheinlich nie wieder ansehen werde, da die Realität ohnehin schon bedrückend ist.

     

    Ähnlich wie "Zivilcourage"

     

    Natürlich ist immer am Ende Hoffnung. Wenn Menschen sich gegenseitig Halt geben, besteht Hoffnung.

    Wenn Menschen sich aufgegeben haben, gibt es keine mehr.

     

    Die beiden (Bente und Becky) haben sich wohltuend in mein Herz eingeschlichen.

     

    Ich weiß nicht ob ich darüber begeistert sein soll, dass die Gang aus dem DEMO genau so rüber kommt, wie sie wirklich agiert und reagiert.

    Ich kann gut ohne solche Verhaltensweisen leben.

    Es ist m.E. keine Auszeichnung, aber die Jungs fanden das bestimmt sehr cool, sich mal so richtig selbst darstellen zu können. (Googelt mal nach DEMO und Köln-Porz)

     

    Ich kann ihnen leider aber auch keine Chance geben, z.B. durch Arbeit (wobei ich mich frage, ob die Verachtung die in ihnen wohnt, nicht schon so manifest ist, dass sie gar nicht mehr normal leben können)

     

    Bleibt also nur weiter eines: Haben wir Hoffnung.

     

    LG

    Martinus

  • UV
    Uli von Zydowitz

    Wunderbarer Film, sehr berührend. Wichtig ist für mich nicht ob der Film sein Sujet realistisch abbildet, kann er gar nicht. Er komprimiert, verkürzt und schrammt oft gefährlich nahe am Kitsch vorbei. Das macht Ihn gut. Wir sind Wesen die sich über ihre Erinnerung definieren, wir werden älter, die Erinnerungen werden mehr und das Leben dahinter kürzer. Die Kraft zur Veränderung liegt in der Jugend. Die Erwachsenen beider Sphären haben keine Möglichkeit der Kommunikation, ihr Leben wird durch ihre Erinnerung bestimmt. Das läßt uns dieser Film spüren, damit leistet er mehr als uns auf einen sozialen Mißstand hinzuweisen, er läßt uns mit der Ursache in Berührung kommen. Dieser letzte, so wunderbahr einfach von Becky gesagte Satz " bleibst du? " bringt es auf den Punkt. Wer währe denn je schon geblieben..

  • D
    Denise

    ich hab auch die vorpremiere gesehen und ich fand den film einfach nur scheiße.

    es war alles viel zu übertrieben dargestellt und es wurden 1000 probleme in einem familien bzw freundeskreis dargestellt (z.b. armut,alkoholabhängigkeit, kinderverwahrlosung, vergewaltigungen, jugenaggressivität...) und das war einfach zu viel ich hätte es besser gefunden wenn nur ein oder 2 probelme aufgegriffen wären. außerdem waren manche szenen nicht ganz real wie zum beispiel die schlussszene als die hauptdarstellerin fast stirbt und keiner einen arzt ruft das war i-wie unrealistisch weil jeder jugendliche hat heutzutage ein handy und hätte hilfe holen können !!!

    alles in allem hat mir der film gar nicht gefallen !!

  • A
    Anke

    Wann habe ich einen ähnlich gesellschaftskritischen, tiefgehenden Film, der den Finger sozusagen in die Wunde dieses Systems legt, gesehehen? Es geschieht leider viel zu wenig, daß sich das Fernsehen bemüht und traut, den Zuschauer zur besten Sendezeit mit derart belastendem Filmmaterial über die Mißstände, die in unserer Gesellschaft nun mal existieren, völlig ungeschönt zu konfrontieren.

    Überzeichnet, untertrieben?

    Das ist nicht das Problem! Das Problem ist die Zwangsläufigkeit, mit der eine (ach, nennt man es doch beim Namen) kapitalistische Gesellschaft - also eine erstrangig dem Kapital verpflichtete Gesellschaft) solche Begleiterscheinungen wie Arbeitslosigkeit, sozialen Abstieg, Armut, Ausgrenzung, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung auf der einen Seite, und stetig wachsenden Reichttum (sich konzentrierende Macht) auf der anderen Seite mit sich bringt. Schwächelnde Wirtschaftskraft in Krisenzeiten beschleunigt und verschärft diese Entwicklung, die einhergehenden finanziellen Verluste der Sozialkassen machen dringend benötigte Hilfsleistungen für sozial Schwache immer, immer schwieriger. Einer größer werdenden Zahl von Bedürftigen stehen immer weniger finanzielle Mittel gegenüber, sozial Schwache sind zunehmend sich selbst überlassen, der Verantwortung durch die Gesellschaft mehr und mehr entzogen.

    Filme wie dieser als beklemment authentische, ehrliche und kritische Bestandsaufnahme unserer Gegenwart sind dringend vonnöten, um möglichst viele damit zu erreichen. Und um an jene Verantwortung zu erinnern, derer, die allein durch Besitz und Vermögen von denjenigen getrennt sind, die auf der Verliererseite des Systems stehen.

  • U
    ulla

    Ich kann mich denen nur anschließen die durch diesen Film berührt worden sind. Teilweise wäre ich am liebsten von meiner bequemen Couch aufgestanden und hätte Becky an die Hand genommen und da weggeholt, und ihre Geschwister gleich mit. Aber das wäre wohl der falsche Weg denn die Kinder lieben ihre Mutter ja.Nur ausreichende Hilfe fehlt - ohne Bevormundung und Bedrohung, hier ist wirklich unser S o z i a l s t a a t gefragt. Die SPD sollte aus ihrem LoGO das sozial streichen und die CDU das christlich, denn beides ist verlogen. Natürlich kamen mir auch die Tränen: die Szene in der Becky die Arme ihrer betrunkenen Mutter um sich legt um so etwas körperliche Liebkosung zu bekommen hat mich sehr berührt.

  • T
    Tina

    Ich fand den Film sehr authentisch.So geschieht es doch jeden Tag. Auch wenn der Film jetzt in einem Problemviertel spielt, ereignet sich das überall. Ich war damals ein "Teil" der Mittelschicht und die Abfolge war fast wirklich die gleiche. Da rennt der Mann vorher wirklich nackt rum und hinterher musst Du schauen dass Du nicht alleine mit ihm bist, weil Deine alkoholabhängige Mutter es nicht sehen will und Dich nicht schützen würde, aus Angst, ein Stück Familie und ihre Bleibe zu verlieren.Und da trinkt man dann gerne selber mal richtig, um zu vergessen und um alles besser zu ertragen. Beim mir hat es keine Vorulteile ausgelöst, dass es nur in den Problemvierteln vorkommt. Aus zwei Klinikaufenthalten (Psychatrie, Psychosomatische Klinkik) weiss ich, dass dies Deinen Mitmenschen, denen Du es nicht ansiehst, genauso passiert. In einer ganz normalen Stadt, in einem ganz normalen Dorf, wo anscheinend jeder jeden kennt...

    Ein Lob an die jungen Schauspieler!!!

  • KJ
    koelsche jung

    Also ich kann nur den hut ziehn vor diesem film...echt klasse herausgearbeitet, und zwar jedes kleinste detail, ich liebe gesellschafts(kritische)dramen! mal abgesehen davon, dass der film auch toll is, weil er in meiner stadt spielt ;-) ich jedoch ebenfalls die gegenden kenne, wo man sich schon unsicher fühlen kann...

     

    kann mich meinen vorrednern (die den film richtig verstanden haben) nur anschließen und die sehr gute kritik fortführen...achja noch etwas : gerade solche filme müssen überzeichnet und krass sein, damit sie berühren, und deswegen besser verstanden werden!

     

    also von mir ganze 5 STERNE frau goette! WEITER SO !

     

     

    ne schöne jrooß us kölle

  • SB
    Sabine B.

    Ich weiß nicht, wann mich ein Film so berührt hat.

    Ich musste auch weinen.

  • B
    BuckarooBanzai

    Lieber Schleusenwart, den Film als Realitätsfremd zu leugnen grenzt wohl an der fehlenden Einsicht das es sowas in Deutschland geben kann.

     

    Sowas gibt es in Deutschland, Haargenau so passiert es Tag für Tag hundert mal in Deutschland.

    Wenn man einen Film gedreht hätte wo eine Mutter 10 Babys tötet, hätten sie ihn wohl auch als Realitätsfremd eingestuft aber so ist es auch schon geschehen.

     

    Ein Bekannter von mir arbeitet in einem Sozialprojekt für Straffällige Jugendliche und Junge Erwachsene, Ich selber habe vor 8 JAhren Zivildients in der Suchthilfe gemacht. Und was wir dort gesehen und erlebt haben reicht um 10 Filme zu drehen.

     

    Aber schauen sie ruhig durch ihre Rosarotebrille. Wenn man den Tatsachen nichts ins Auge sieht, dann muss man ja schliesslich auch nicht seinen Arsch bewegen um etwas zu ändern.

     

    Der Film handelt darum das Kinder die in solchen Umständen geboren werden nichts an ihrer Situation ändern können und die wahren Leidtragenden sind.

     

    Er handelt von Kindern wie Becky die Intelligent und unvorbelastet sind sich liebevoll um ihre Geschwister kümmern und durch diese Umstände keine Kindheit haben können und darum schwer in ihrer Entwicklung gestört werden.

    Diesen Kindern soll man ohne Vorurteile und ohne Angst gegenüber treten so wie Bente, die Mauern einreissen und nicht wie seine Eltern die voller Vorurteile die Mauer höher bauen. .

  • B
    Bruno

    Ich wünsche mir eine Fortsetzung dieses Films.

    Am Ende dieses Films musste ich echt weinen.

  • B
    Baccalaureus

    Ganz Unrecht, lieber Schleusenwart, haben Sie nicht. Leider haben Sie auch nicht ganz recht.

    Natürlich ist nicht jeder Hartz-IV-Empfänger asozial. Natürlich ist nicht jeder, der in einem Hochhaus in Köln-Porz, in Dresden-Prohlis, Jena-Lobeda, Hamburg-Harburg, Frankfurt-Fechenheim, Würzburg-Heuchelhof oder sonst einem "Brennpunkt" wohnt, ein Opfer des Systems.

    Blöderweise kommt es aber trotzdem vor. Und blöderweise spielt sich das Versagen des Rests von Sozialstaat, den wir noch haben, genau dort ab. Blöderweise haben mir Jugendliche genau solche Geschichten erzählt.

    Da hilft es nichts, wenn wir die dramatische Überzeichnung eines Films beklagen, auch der Mittelstandsspruch "wir sollten uns erstmal an die eigene Nase fassen" ist überhaupt nicht mehr angebracht. Der Graben ist schon gezogen, unsere Gesellschaft ist de facto schon auseinandergebrochen - und ein sozialer Aufstieg eigentlich nicht mehr möglich.

    Und das ist auch politisch gewollt - ungebildete und unqualifizierte Arbeitslose sind billig zu halten. Ein Heer von Arbeitslosen, deren Ausbildung den Staat zuvor noch Geld gekostet hätte, die vielleicht für ihre Rechte kämpfen würden, wie käme man dem bei?

    Die Verrohung und Verelendung, die dieser Film abbildet, die oft durch "Political Correctness" bedingte Sprachlosigkeit des Mittelstands, die immer durch - geistige oder finanzielle - Armut bedingte Sprach- und Machtlosigkeit der finanziellen Unterschicht, die aus Orientierungslosigkeit erwachsene machistische Gewalttätigkeit der Männer, die aus Armut und Einsamkeit verkauften Frauenkörper (im Film für einen iPod!), das alles sind Bestandteile unserer Parallelgesellschaften. Ebenso wie Mittelstandseltern, die alles tun, um ihre Kinder vor der Proles zu schützen: verständlich, aber dadurch wird die Spaltung nur vorangetrieben.

  • S
    sja

    Habe den Film gestern abend gesehen und fand ihn äußerst bedrückend und realistisch besonders in der Hinsicht, dass keine Auswege gefunden werden. Ich glaube nicht, dass sich Kinder aus solchen Situationen selbst befreien können. Es ist m.E. auch überzeugend dargestellt, wie begrenzt die Möglichkeiten des Sozialamtes sind, den Kindern zu helfen.

  • HH
    Hans Heiner

    also ich werden den film nicht anschaun...

  • S
    Schleusenwart

    Danke liebe ARD für diesen Film!

     

    Filme sind (und sollen es vor allem oder trotz allem auch sein) fiktiv und es muss ihr Anspruch sein zu überzeichnen. Aber dieser Film hat ein Problem. Er versucht authentisch zu sein. Und ist es nicht. Nicht während einer einzigen Sekunde. Der Film ist eine Abfolge von Klischees und prototypischen Beschreibungen (jedenfalls solchen, die sich auf die Mittwochs-Couch genagelte Bildungsbürger gerne vorstellen). Es beginnt mit der Zeichnung der Charakere. Das Mädchen ist der Prototyp des Sozialverlieres. Die Mutter ist ständig betrunken (Hartzkolonne, was sonst) und dazu noch depressiv. Sie raucht wie ein Kohlekraftwerk in der Wohnung, die sie sich mit den vier Kindern teilt. Wenn sie nicht passiv und zugelötet auf dem Sofa abhängt, geht sie mit irgendwelchen Typen erst saufen (was sonst) und dann ins Bett(na klar). Natürlich so, dass die Kinder das auch schön mitkriegen, weil die Galane auch mal gerne mit dem nackten Arsch voran ins Kinderzimmer torkeln, bevor sie die Mutter auf dem Sofa hinter dem Vorhang rannehmen. Das Mädchen ist schlau, der Lehrer sagts, aber in dem schlimmen schlimmen Milieu ist kein Platz für Bildung. Der weitere Weg ist klar... Aber dann kommt die zweite Hauptperson ins Spiel. Ein Junge, Bildungsbürgerkind, nett, aber körperlich schwach und sozial...nun ja...sagen wir mal inkompetent. Nachdem der von den Unterschichten-Prügel-Brigaden aufgemischt wurde (warum eigentlich ist der dort ausgestiegen) treffen sich die zwei und dann nimmt alles seinen Lauf...inklusive multipler vergewaltigungs-Szenen, Alkoholabstürzen usw.

    Noch schöner als die grausam stereotypen Charaktere sind aber die Dialoge. Kostprobe:

    Er: Ich will später mal Biologie studieren oder Arzt werden.

    Sie: Ich war mal ein Jahr lang im Krankenhaus. Ich war dort wegen meinem herz.

    Er: Das heißt "wegen meines Herzens".

     

    Ahja....

     

    Danach: Sie zaubert zwei Flaschen Alkopops (!!!) aus der Tasche, die beiden trinken aber nicht. Sie geht dann später und lässt die Flaschen da. Seine Mutter kommt in sein Zimmer und sagt:

    "Die muss ich jetzt konfiszieren." Genau, konfisziert wird in der Oberschicht, in der Unterschicht würde Mutti das Zeug selbst wegschnäbeln.

     

    Und dann die Krönung. Die beste Freundin wird von einer Horde der bereits genannten enthemmten Unterschichten-Prügel-Brigaden in der Öffentlichkeit, am Tage, einfach so vergewaltigt. Vergewaltigung scheint im Übrigen auch das Mittel der Wahl zum Frustabbau in der Unterschicht zu sein. Und so weiter und so fort.

     

    Der Film wäre interessant gewesen, wenn sich die Öffentlichkeit im Moment nicht auf diese Menschen eingeschossen hätte. Hat sie aber. Und bekommt genau die Klischees, die sie auf der Couch am Mittwochabend gerne hätte. Sozialromantik ist das Gegenstück zu diesem Film. Und ist dabei genau so falsch. Dieser Film hilft keinem! Es ist langsam Zeit für Realität! Dieser Film mit seinen Klischees ist Wasser auf den Mühlen der Hartz4-Basher (wir haben es ja gesagt...asoziales Pack), die danach in ihre Reihenhaussiedlungen gehen (ja, bei uns ist auch nicht alles perfekt...aber besser als bei denen...die sie ja selber Schuld haben) und dann die Tür hinter sich schließen. Wie in ihrem Kopf.

     

    So und jetzt gehe ich mal lieber zu meinen Kindern nebenan und vergewissere mich, dass der schwarze Hartz4-Mann nicht bei denen abhängt. Meine Flasche Wein trinke ich aber vorher noch aus. Und morgen gehe ich dann wieder arbeiten. Ach ja, ich rauche auch. Nicht in der Wohnung, aber ein wenig hartzig ist das doch insgesamt hoffentlich schon, oder?

  • IH
    IAntje Herrmann

    Ich habe mir diesen Film angeschaut und habe zum Teil angeekelt zum Teil erschüttert , aber immer zutiefst berührt , erkennen müssen, das die Welt außerhalb meiner kleinen Welt abstrakt und irre ist.

    Ich bin keine naive Frau, habe mir mit meinem Mann aber eine kleine heile Welt aufgebaut mit einem Eigenheim, und zwei Kindern, die ich versuche zu beschützen.

    Natürlich weiß ich, dass es Abgründe gibt, die aber so deutlich vor Augen geführt zu bekommen, hat mich an Grenzen stoßen lassen.

    Die Augen der Kinder waren so stumpf und leer, nur die Hauptdarstellerin strahlte in ihrer Erscheinung.

    Ich bin mir sicher, dass nicht jeder Hartz4 Empfänger alkoholkrank ist und seine Kinder missbraucht, aber schon der Gedanke, dass es solche Menschen gibt, die so leben, und die ihre Kinder so leben lassen, macht mich wütend.

    Leider gibt es keine Universalhilfen für solche Fälle und es gibt auch kein Pauschalurteil von mir über Menschen,aber die Kraft der Kinder bewundere ich zutiefst und die unerschütterliche Liebe die sie den Menschen entgegenbringen, die Ihnen nicht immer Gutes tun.

  • V
    Vali

    Hallo!

    Glaubst du nicht, es ist wichtig diese Situation zu überzeichnen um die Leute darauf hinzuweisen dass es diese Probleme gibt? Ich glaube viele Leute vergessen das einfach weil es nichts mit ihrem Leben zu tun hat... Selbst wenn es in den Nachrichten erwähnt wird, vergessen sie es schnell wieder. Es sind zwar auch nur Einzelfälle, aber jeder Fall ist ein Fall zu viel...

    Ich sehe in diesem Film verlorene Hoffnung. Becky gewinnt einen Lichtblick als sie Bente kennenlernt. Endlich ein Junge der ihr gefällt und anständig ist. Außerdem bessert sich zu diesem Zeitpunkt die Situation der Mutter, sie trinkt weniger und holt sogar ihre Kinder selber vom Kindergarten(?) ab. Diese Hoffnung verliert sie durch Bentes Schulwechsel und die Vergewaltigung. Ja, und sie beginnt zu trinken.. Warum? Weil sies nicht anders kennt und auch niemanden zum Reden hat... Nicht nur ihre Mutter trinkt sondern auch alles anderen in ihrer Umgebung(Freunde kann man ja nicht sagen), keiner hört den anderen zu, keiner hat ein offenes Ohr somit ist mit Alkohol der Schmerz leichter zu ertragen, und anscheinend die einzige Möglichkeit. Ich glaube auch, dass es im wahren Leben so ähnlich ist... Es kommt immer drauf an wie deine Umgebung mit bestimmten Situationen umgeht.

    Für mich ist Becky sehr wohl eine starke und hoffnungsvolle persönlichkeit, aber glaub mir nach einer vergewaltigung ist keine frau mehr so stark und hoffnungsvoll wie davor! sowas steckt man nicht so locker weg... natürlich ist es dumm von ihr nicht zur Polizei zu gehen, wäre sie das, wäre sie wiederum von ihrer familie getrennt--> Jungendamt. Manches im Leben ist eben nicht so einfach zu lösen wie es scheint.

    Ich möchte noch hinzufügen dass ich nach diesem Film nicht den Eindruck habe dass Schlägerein und Vergewaltigungen zum Alltag gehören, jedoch passieren sie, besonders in ärmern Schichten. Und ich denke das dieser Film einen drauf hinweist und auch wie auswegslos teilweise die Situationen sind. Wir dürfen das nicht verleugnen sondern sollten doch auch was dagegen tun oder? Die Frage ist natürlich WIE?

  • V
    Vali

    Hallo!

    Glaubst du nicht, es ist wichtig diese Situation zu überzeichnen um die Leute darauf hinzuweisen dass es diese Probleme gibt? Ich glaube viele Leute vergessen das einfach weil es nichts mit ihrem Leben zu tun hat... Selbst wenn es in den Nachrichten erwähnt wird, vergessen sie es schnell wieder. Es sind zwar auch nur Einzelfälle, aber jeder Fall ist ein Fall zu viel...

    Ich sehe in diesem Film verlorene Hoffnung. Becky gewinnt einen Lichtblick als sie Bente kennenlernt. Endlich ein Junge der ihr gefällt und anständig ist. Außerdem bessert sich zu diesem Zeitpunkt die Situation der Mutter, sie trinkt weniger und holt sogar ihre Kinder selber vom Kindergarten(?) ab. Diese Hoffnung verliert sie durch Bentes Schulwechsel und die Vergewaltigung. Ja, und sie beginnt zu trinken.. Warum? Weil sies nicht anders kennt und auch niemanden zum Reden hat... Nicht nur ihre Mutter trinkt sondern auch alles anderen in ihrer Umgebung(Freunde kann man ja nicht sagen), keiner hört den anderen zu, keiner hat ein offenes Ohr somit ist mit Alkohol der Schmerz leichter zu ertragen, und anscheinend die einzige Möglichkeit. Ich glaube auch, dass es im wahren Leben so ähnlich ist... Es kommt immer drauf an wie deine Umgebung mit bestimmten Situationen umgeht.

    Für mich ist Becky sehr wohl eine starke und hoffnungsvolle persönlichkeit, aber glaub mir nach einer vergewaltigung ist keine frau mehr so stark und hoffnungsvoll wie davor! sowas steckt man nicht so locker weg... natürlich ist es dumm von ihr nicht zur Polizei zu gehen, wäre sie das, wäre sie wiederum von ihrer familie getrennt--> Jungendamt. Manches im Leben ist eben nicht so einfach zu lösen wie es scheint.

    Ich möchte noch hinzufügen dass ich nach diesem Film nicht den Eindruck habe dass Schlägerein und Vergewaltigungen zum Alltag gehören, jedoch passieren sie, besonders in ärmern Schichten. Und ich denke das dieser Film einen drauf hinweist und auch wie auswegslos teilweise die Situationen sind. Wir dürfen das nicht verleugnen sondern sollten doch auch was dagegen tun oder? Die Frage ist natürlich WIE?

  • F
    Flo

    @ Lukas

    Da magst du schon Recht haben, ich weiß aber eben auch, dass das eben genau möglich ist.

    Da gibt es in Berlin-Neukölln genau so wie in Stuttgart oder Dresden-Prohlis.

    Ich muss sagen, dass der Film mich sehr bewegt hat. Teilweise wollte ich am liebsten aufstehen und sofort etwas tun.

    Natürlich ist der Film etwas "krass" und überzeichnet, aber das muss er auch.

    Hätte der Film Wege aufgezeigt, welche hätten das denn sein sollen?

    Wenn es diese Wege gäbe, dann bräuchten wir uns in Dtl. keine Sorgen mehr machen, das "System funktioniert ja".

    Deswegen muss dieser Film auch zeigen, dass es eben auch dort enden kann.

    Und das teilweise auch schon mit jüngeren Kindern/Jugendlichen.

  • H
    HPB

    Nicht, dass der Film politisch korrekt ist, ist seine Stärke.

    Sondern sein Plädoyer für die dargestellten jungen Leute, die um ihre Würde kämpfen.

    Endlich kommt die ARD bei der deutschen Tagesordnung an.

  • LL
    Lukas Lorenz

    Ich durfte diesen Film schon einmal in einer Vorprämiere sehen und war nicht sonderlich entzückt über diesen Film. Dieser Film verfällt in Stereotype Vorurteile und verschärft diese noch. Stammtischschwätzer, wie Gido Westerwelle, werden sich bestätigt fühlen. Denn der Film stellt Hartz IV Empfänger als Alkoholiker, Kinderschänder und Sozialschmaroza dar. In keinster Weise werden mit diesen Film Mauern eingerissen!

    Im Film selber ist keine Hoffnung zu sehen. Becky wird von den Freund ihrer Mutter vergewaltigt, dies ist nach dem Handlungsmuster spätestens nach der hälfte des Filmes vorhersehbar. Becky selber sieht keinen anderen Weg außer sich mit Alkohol, wie ihre Mutter, ihre Sorgen weg zu trinken. Ihr Freund rettet sie zwar ruft aber auch nicht, wie ihre Freundin, die Polizei oder einen Rettungswagen.

    Der Artikel suggeriert, dass Köln-Porz so ist wie im Film. Gewalt in Porz ist eine seltenheit und auch in Finkenberg, wo dieser Film zum Teil spielt. Ich gehe seit 7 Jahren auf eine Gesamtschule im dargestellten Stadtteil in Köln, aber bin noch nie verprügelt worden. Auch meine Freunde die dort Leben berichten nicht von solchen krassen Ereignissen. Ich weiß das ein Film überzeichnet, aber hätte der Film nicht auch Auswege aus der dargestellten Situation zeigen können?

    Auch die Argumentation von Frau Goette, dass im Film ausschließlich starke Jugendliche und versagende Erwachsene zu sehen ist, halte ich für absoluten Blödsinn! Denn ist ein Mädchen das Vergewaltigt wurde und nicht zur Polizei geht stark? Oder ist Bente der seiner Mutter nicht die Meinung sagen kann stark? Ich finde nicht! Natürlich ist Becky eine starke Persönlichkeit im Sinne das sie sich um ihre Geschwister kümmert, aber wer würde sich nicht um seine kleinen Geschwister kümmern? Im Film werden ale starken Charterzüge gebrochen und es wir, ich wiederhole es gerne, keine Auswege gefunden.

    Also meine Kritik bezieht sich aber trotz alle dem das der Film Vorurteile unterstützt und alle betroffenen Millieus pauschalisiert!