ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Mexiko? Taibo, Bolaño und Winslow
Als der mexikanische Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II in den 1970er-Jahren seinen Privatdetektiv Héctor Belascoarán Shayne erfand, war Don Winslow noch ein unbekannter Student der Afrikanistik in Nebraska. Taibo II, selbst Kind spanischer Exilanten und Franco-Flüchtlinge, ließ seinen Detektiv vor der Kulisse des alten mexikanischen PRI-Staates ermitteln, Jahre bevor der Drogenkrieg im Land offen eskalierte. Die Konflikte in Mexiko mit der hoffnungslos korrupten Staatspartei der Institutionalisierten Revolution (PRI) wurden damals noch nach vergleichsweise durchschaubaren Mustern gespielt.
Taibo betrachtete seine Kriminalromane als Waffe gegen ein autoritäres Regime, das Mexiko seit der Revolution, also fast das gesamte letzte Jahrhundert, beherrschte. In einem Interview für die Zeitschrift Die Beute sagte er 1995 in Mexiko-Stadt: „Der neue Kriminalroman ist gleichzeitig in verschiedenen Ländern der Welt entwickelt worden. Dieser Prozeß hatte etwas mit den kulturellen und politischen Krisen der siebziger Jahre zu tun, ist als eine literarische Antwort der neuen Generation auf die gesellschaftlichen Veränderungen zu verstehen.“
Im Vergleich zu Winslow und heute wirken seine Romane (Deutsch bei Goldmann, Nautilus und AssoziationA) fast schon nostalgisch, Tempo und Brutalität der Auseinandersetzung haben sich mit dem Abdanken des PRI-Regimes 2000 und der Privatisierung der mafiotischen alten Staatsstruktur dynamisiert.
Einer der Ersten, die dies in einem großen epischen Entwurf thematisch einband, war Roberto Bolaño. Der 2003 verstorbene Exilchilene widmete den Frauenmorden von Ciudad Juárez große Abschnitte seines letzten Werks „2666“ (Dt. bei Hanser 2009). Niedergang und Zerfall staatlicher Institutionen werden hier exemplarisch geschildert, wenn auch nicht in der Populärform des Kriminalromans. Die südliche Antwort auf Don Winslow steht von daher noch aus.
■ Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz