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Archiv-Artikel

ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT Bolivien: „Zona Sur“ und Raúl Zibechi

Raúl Zibechi beschreibt in „Bolivien – Die Zersplitterung der Macht“ (Nautilus, 2009) sehr genau den indigenen Aufstand vom Oktober 2003. 27 Monate später wurde Evo Morales dann zum Präsidenten gekürt. Und Morales, indigener Abstammung, versprach zu Amtsbeginn 2006, „500 Jahre Diskriminierung zu beenden“.

Dass dies keine leeren Phrasen sind, davon künden seither immer wieder Spannungen, die im Zuge von Umverteilungskämpfen unvermeidlich sind und an der naturgemäß auch die „freie“ Welt ihren zweifelhaften Anteil nimmt. Umso erfreulicher, dass aus Bolivien auf der diesjährigen Berlinale einer der besten Spielfilme zu sehen war – von den Feuilletons kaum wahrgenommen, vom Publikum jedoch begeistert gefeiert.

Mit „Zona Sur“ ist dem Regisseur Juan Carlos Valdivia tatsächlich ein kleines Meisterwerk gelungen. Nicht nur, dass er für seinen Film eine überraschende, wunderschöne Bildsprache gefunden hat. „Zona Sur“ bietet zudem eine soziale Perspektive, die die Konflikte in Bolivien weiterbringen kann. Denn statt einfach auf den Klassengegensätzen zu bestehen, diese separatistisch hervorzukehren, betreibt er filmisch deren Auflösung.

Im südlichen La Paz lebt in einem Oberschichtenhaus Carola mit ihren Söhnen Andres und Patricio sowie Tochter Bernarda. Carola, eine klassische Kolonial-Schönheit, führt das Regiment, die beiden Aymara-Hausangestellten Wilson und Marcelina kümmern sich um Kinder, Küche, Garten. Wilson backt, und wenn die Hausherrin nicht da ist, benutzt er selbstverständlich ihr Bad und ihre Kosmetik. Apartheidähnliche Grenzen verwischen, Kinder wie der fünfjährige Andres können sie ohnehin nicht nachvollziehen. Und für Bernarda, die neugierige junge Tochter aus der Zona Sur ist es bedeutsamer, sich als Lesbe auszuprobieren, denn Aymaras zu drangsalieren.

Die Dinge in Bolivien sind in Bewegung. Nicht nur wie der Autor Raúl Zibechi in der Nautilus-Flugschrift bereits nahelegte in der Vorstadt El Alto. Sondern auch wie Regisseur Juan Carlos Valdivia nun überzeugend darlegt in der Zona Sur, mitten im alten Zentrum des einstigen Kolonialreichs.

Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz Foto: privat