ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Alle lieben Stéphane Hessel
Man wäre schön dumm, dieser Tage etwas gegen Stéphane Hessel zu sagen. Also erwarten Sie das bitte hier auch nicht von mir. Die „Entrüstungsfibel“ (taz) des „sanften Empörers“ (FAZ), „Indignez-vous!“ („Empört euch!“), wurde in Frankreich bald eine Million mal verkauft. Und auch das Echo im deutschen Feuilleton ist erstaunlich freundlich. Das dürfte hierzulande weniger an Hessels Kritik am „neoliberalen Finanzkapitalismus“ liegen als einer Sehnsucht nach moralischer Eindeutigkeit und Integrität geschuldet sein: Eine antifaschistische Haltung im Geiste des Humanismus ist schließlich nicht die schlechteste, zumal als literarische Position.
Mit der Geschichte Stéphane Hessels verbindet sich auch die Geschichte des anderen Deutschland und einer undogmatisch linken, westeuropäischen Intellektualität. Der heute 93-Jährige ist Sohn der Journalistin und Übersetzerin Helen Grund sowie des Schriftstellers und Lektors Franz Hessel. Die Bücher seines Vaters stehen in vielen Regalen gleich neben denen Walter Benjamins. Stéphane übersiedelt 1924 als Kind mit seiner Mutter nach Paris. Er kämpfte während der Okkupation Frankreichs in der Résistance, fiel 1944 der Gestapo in die Hände und überlebte das KZ Buchenwald. Nach 1945 wirkte er in vielen Ämtern, und heute ist er der letzte noch lebende Mitverfasser der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN.
Jeder Text über den „Empörer“ Stéphane Hessel erzählt diese Geschichte nun automatisch mit. Man kann es logisch oder überraschend finden, auf alle Fälle drang das Feuilleton der FAZ nach zwei vorhergehenden Berichten am Freitag letzter Woche zum Kern von Hessels Biografie vor. Unter dem Titel „Wie ich Buchenwald und andere Lager überlebte“ veröffentlichte es einen großen Text von Stéphane Hessel selbst, den Jörg Wollenberg aufgezeichnet hatte.
Im Spiegel-Gespräch bezeichnete sich Hessel diese Woche als Sozialist, „bis heute zahlendes Mitglied der Partei“, und Anhänger rot-grüner Bündnisse. Das klingt moderater, als es die ein oder andere seiner moralisierenden Anklagen vermuten lässt (wie etwa sein Aufruf zum Boykott israelischer Waren). Ab 8. Februar können sich die deutschsprachigen Leser ihr eigenes Urteil bilden. Dann erscheint Hessels Buch in Übersetzung bei Ullstein.
■ Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz Foto: privat