AMERICAN PIE : Endlich Party ganz in Weiß
EISHOCKEY Nach 19 Jahren spielen die Winnipeg Jets in der NHL wieder einmal in den Playoffs und begeistern ihre besessenen Fans
Das Royal Winnipeg Ballett ist die älteste Tanzcompagnie Kanadas. Immerhin. Und der Bär, der Alan Alexander Milne inspirierte, sein berühmtes Kinderbuch „Pu der Bär“ zu schreiben, stammt aus Winnipeg. Früher war Winnipeg auch mal die kälteste Stadt der Welt mit mehr als 600.000 Einwohnern. Dann kam Ulan Bator und schnappte sich diesen Rekord. Im Winter sinkt die Temperatur bisweilen unter 40 Grad Minus, im Sommer wird die Stadt von Stechmücken heimgesucht. Nein, in Winnipeg, das ziemlich exakt in der geografischen Mitte Nordamerikas, gefühlt aber mitten im Nirgendwo liegt, haben sie nicht wirklich viel Grund zur Freude.
Umso ekstatischer reagierte das kanadische Provinzstädtchen, als die Winnipeg Jets sich für die NHL-Playoffs qualifizieren konnten. Zum ersten Mal seit 19 Jahren. „Die Begeisterung liegt in der Luft, man kann sie in der ganzen Stadt fühlen“, berichtete Bürgermeister Brian Bowman. Die wenigen Eintrittskarten, die überhaupt in den Verkauf gelangten, waren denn auch innerhalb von fünf Minuten ausverkauft. „Winnipeg ist ein Dorf“, sagte Center Mathieu Perreault, „Eishockey bedeutet den Leuten hier alles.“
Die Begeisterung bekam am Montag allerdings einen bösen Dämpfer. 4:5 verloren die Jets das sehnlichst erwartete Playoff-Heimdebüt gegen die Anaheim Ducks denkbar dramatisch. Nach fünf Minuten und zwölf Sekunden der Verlängerung ereilte die Jets der „Sudden Death“.
Bis dahin allerdings hatten die 15.016 Fans im ausverkauften MTC Centre eine Party geschmissen, wie man sie in Winnipeg lange nicht erlebt hat. Die Arena ist die kleinste in der NHL, aber eine der lautesten. Ondrej Pavelec, der tschechische Torhüter der Jets, wurde für jede Parade mit frenetischen „Pavy-Pavy“-Sprechchören gefeiert, jeder belanglose Schiedsrichter-Pfiff gegen die Ducks bejubelt wie eine Meisterschaft. Vor allem aber wurde eine alte Playoff-Tradition wiederbelebt: Die Zuschauer erschienen ganz in Weiß gekleidet, mit weiß gefärbten Haaren, weiß geschminkten Gesichtern, und schwenkten zu jeder Gelegenheit ihre weißen Handtücher. Der sogenannte „White Out“ ist mittlerweile zwar in vielen Eishockey-Arenen üblich, aber wurde in Winnipeg in den Achtzigerjahren erfunden.
Dass das eishockeyverrückte Winnipeg 19 lange Jahre ohne den „White Out“ auskommen musste, hatte allerdings weniger sportliche, sondern vor allem wirtschaftliche Gründe. 1996 verließen die Jets, die nie den Stanley Cup hatten gewinnen können, die Stadt, zogen um nach Arizona und wurden zu den Phoenix Coyotes, weil sie sich dort bessere Geschäfte versprachen. Plötzlich stand das eh schon belächelte Winnipeg ohne eine einzige bedeutende Profi-Franchise da. „Das war ein großer Verlust“, erinnert sich Bürgermeister Bowman, „ein Schlag für das Selbstbewusstsein der Stadt.“
Erst 2011 gelang es Winnipeg, wieder ein NHL-Team in die Stadt zu locken: Die in Atlanta wenig gelittenen Thrashers machten sich auf in den hohen Norden und wurden in der kanadischen Einöde mit offenen Armen empfangen. Die 13.000 Saison-Tickets waren innerhalb von 17 Minuten ausverkauft, die Warteliste wurde nach zwei Stunden und 8.000 Einträgen geschlossen. „Winnipeg ist eine wachsende Stadt mit einer dynamischen Wirtschaft und einer hellen Zukunft“, sagt Bowman, „die Jets zurückzubekommen, das war die Sahne auf dem Kuchen.“
Heute Nacht hat Winnipeg noch eine Gelegenheit, sich selbst zu feiern. Da die Ducks aber schon die ersten beiden Spiele der Best-of-Seven-Serie in Anaheim gewonnen haben, muss ein Sieg her, sonst ist der Playoff-Spaß schon wieder zu Ende. Dann bleibt wieder nur das Ballett. THOMAS WINKLER