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Archiv-Artikel

AMERICAN PIE Geld, Sex und Drogen

COLLEGE-SPORT Ein Report über die Machenschaften im Football-Team der Oklahoma-State-Uni erschüttert die US-Sportwelt

Die Voodoopuppe war lebensgroß, trug ein weißes Hemd, eine braune Hose und eine gelbe Krawatte. Sie saß nicht weit entfernt vom Boone Pickens Stadium in Stillwater, in dem die Oklahoma State Cowboys regelmäßig vor 60.000 Zuschauern Football spielen. „Take a stab @ Thayer“, stand auf einem Schild neben der Puppe. Jeder, der wollte, durfte auf diese Thayer-Evans-Puppe einstechen. Ungefähr ein Dutzend Küchenmesser steckten in der Puppe.

Der lebensechte Thayer Evans ist Journalist. Er hat den Zorn der Oklahoma-State-Fans auf sich gezogen, weil er zu einem Reporterteam gehört, das für das Magazin Sports Illustrated eine Geschichte über Missstände im Football-Team der Oklahoma State University recherchiert hat. Die erschien in den letzten Wochen unter dem Titel „The Dirty Game“ in mehreren Folgen. Die Reportage liest sich – nicht nur weil die Kapitel Titel tragen wie „The Money“, „The Sex“ oder „The Drugs“ – wie ein Bericht aus dem Tourbus einer Rockband.

Evans und seine Kollegen wollten herausfinden, mit welchen Methoden aus einer Football-Mannschaft, die jahrelang als Lachnummer in ihrer College-Liga galt, innerhalb von wenigen Jahren eines der besten Teams des ganzen Landes werden konnte. Dazu haben sie mehr als einhundert Interviews geführt – mit ehemals hoffnungsvollen Football-Talenten und früheren Assistenztrainern. Die berichten von organisierten Partys und Sexabenteuern, mit denen Spitzentalente bei Informationsbesuchen davon überzeugt werden sollten, sich für die Cowboys zu entscheiden. „Orange Pride“, eine Truppe gut aussehender Hostessen, führte die Umworbenen auf dem Campus herum und warb auch mit Sex für die Universität. Der Konsum von Marihuana und Kokain war weit verbreitet, einzelne Spieler verdienten sich sogar ein Zubrot als Dealer. Spieler wurden vor Drogentests gewarnt, Zeugen berichten auch von Doping. Spieler, die im College-Sport offiziell Amateure sind und neben ihrem Stipendium keine Einkünfte für ihre sportlichen Leistungen beziehen dürfen, wurden mit illegalen Zahlungen bei Laune gehalten. Universitätsmitarbeiter schrieben Arbeiten für Spieler, die schlecht im Studium waren und deshalb ihre Spielberechtigung zu verlieren drohten, Professoren gaben ihnen gute Noten, obwohl sie Kurse schwänzten. Es soll Spieler geben, die Kurse bestanden haben, obwohl sie Analphabeten waren. Die Universitätsleitung gibt sich „tief beunruhigt“ und „schockiert von den Unterstellungen“, hat aber angekündigt, den Vorwürfen nachzugehen. Die Cheftrainer, in deren Verantwortung die Vorkommnisse fallen, haben alle Anschuldigungen dementiert. In Blogs und Internetforen wird die Seriosität der Recherche in Zweifel gezogen oder darauf hingewiesen, dass die Zustände an anderen Colleges doch auch nicht besser sind.

Tatsächlich war das die Intention von Sports Illustrated. Das Magazin wollte nicht Oklahoma State an den Pranger stellen, sondern dokumentieren, welche Zustände an Universitäten herrschen, die entgegen der in Sonntagsreden vorgetragenen Bildungsideale um jeden Preis siegen wollen. Der College-Football hat sich längst zu einem Millionengeschäft entwickelt. Darüber werden die Spieler vergessen, denen eine Ausbildung versprochen wird, die sich viele von ihnen ohne Sportstipendium nicht leisten könnten. Doch Sports Illustrated berichtet detailliert, wie Spieler von der Uni fallen gelassen wurden, als sie sich verletzten, wie sie gemobbt wurden, als sie die Erwartungen nicht erfüllten. Kaum die Hälfte der Football-Stipendiaten schaffte einen Abschluss, viele erkrankten an Depressionen, wurden kriminell, einige begingen sogar Selbstmord. Der College-Football, das ist die wichtigste Botschaft der Reportage, ist bigott und muss dringend reformiert werden. THOMAS WINKLER