AMERICAN PIE : The Beckham Catch
AMERICAN FOOTBALL Odell Beckham Jr. von den New York Giants fängt einen Ball so spektakulär, dass halb Amerika durchdreht und ihm den Spitznamen Spiderman verpasst. Sogar Physiker müssen sich darüber auslassen
Fans des schönen Football-Sports, die in New York wohnhaft sind, haben momentan nicht viel Grund zur Freude. Sowohl die Giants als auch die Jets sind in ihren jeweiligen Divisionen im Besitz der roten Laterne, nur fünf Spiele haben die beiden NFL-Klubs in dieser Saison bislang gewonnen – zusammen. Auch am vergangenen Spieltag setzte es wieder Niederlagen, aber das interessierte schon am Montag niemanden mehr. Da interessierte nur noch, dass Odell Beckham Jr. einen Ball gefangen hatte.
Beckham Jr. ist 22 Jahre jung, spielt für die Giants seine erste Saison in der NFL und ist sicherlich ein sehr großes Talent. Der Wide Receiver ist schnell, kann hoch springen und besitzt vor allem das, was Talentspäher als „gute Hände“ bezeichnen: die Fähigkeit, auch schwierige Würfe zu fangen. Diese Hände kamen am Sonntagabend im Spiel gegen die Dallas Cowboys spektakulär zum Einsatz: Giants-Quarterback Eli Manning hatte einen langen Ball auf die Reise geschickt, während Beckham die Außenlinie entlang sprintete. Kurz vorm Ende des Spielfelds wurde er vom gegnerischen Verteidiger gefoult, machte sich trotzdem frei, hob ab, lag eine gefühlte Ewigkeit waagerecht in der Luft, fing den Ball mit einer Hand und landete schließlich auf dem Rücken in der Endzone: Touchdown.
Seitdem wird diskutiert, ob die Welt gerade Zeuge geworden sei eines singulären Augenblicks, des „besten Touchdown-Fangs aller Zeiten“. Schon die Kommentatoren der Live-Übertragung hatten Attribute wie „unglaublich“ oder „krank“ bemüht. Beim Studieren der Superzeitlupen stellten findige Analysten dann schnell fest, dass Beckham gar nur Zeigefinger, Mittelfinger und Daumen seiner rechten Hand benötigte, um den Ball, der mehr als 50 Meter unterwegs war, wie selbstverständlich aus der Luft zu pflücken. Die Aktion hat sogar einen Wikipedia-Eintrag: „The Beckham Catch“.
Tatsächlich kann man beim Anblick der Fernsehbilder in die Versuchung geraten, das profane Fangen eines seltsam geformten Lederballs zur Kunst zu überhöhen. Irrsinnig ist aber die Hysterie, die nun ausgebrochen ist. Nicht nur die Huffington Post findet, es gäbe „nicht ausreichend Superlative“, um Beckhams Fang zu beschreiben. Die New York Times rief gar bei Physikern an, um herauszufinden, ob Beckham womöglich Naturgesetze außer Kraft gesetzt hatte. Jim Gates, ein Physikprofessor an der Uni von Maryland, gab zu Protokoll: „Das war ein bisschen wie Spiderman. Eine nahezu übermenschliche Aktion.“
Spiderman konnte bereits 24 Stunden nach dem Spiel feststellen, dass „The Catch“ sein Leben verändert hat. Am Montag war Beckham für eine Autogrammstunde der Giants in einem Einkaufszentrum auf Long Island gebucht. Der ursprünglich als Zugpferd vorgesehene Viktor Cruz, nomineller Star-Receiver der Giants, wurde zur Nebenfigur degradiert. Am Ende des Abends hatten sich mehr als 300 Fans eine Signatur des neuen Helden geholt. Kostenpunkt: 39 Dollar das Stück. 10 Dollar extra musste berappen, wer einen zusätzlichen Satz auf seinem Foto wollte. Am beliebtesten: „Bend it like Beckham“, der Originaltitel des Films, der in Deutschland als „Kick it like Beckham“ lief. Die Anspielung auf den dort Soccer gerufenen Sport dürfte den meisten amerikanischen Football-Fans allerdings verborgen bleiben.
Denn auch wenn nicht klar ist, ob dem jungen, talentierten Footballprofi Odell Beckham Jr. eine lange, ruhmreiche Karriere in der NFL bevorsteht, eins steht schon jetzt fest: Odell Beckham ist in den USA jetzt bekannter, als es sein Namensvetter David Beckham jemals sein wird.
THOMAS WINKLER