AMERICAN PIE : „Boooooooyah!“
WEGBEREITER Der am Sonntag verstorbene schwarze Moderator Stuart Scott veränderte die Sportberichterstattung radikal
Das war dann Chefsache. „Ich werde Stuart Scott vermissen“, twitterte Barack Obama, „über die Jahre hat er uns unterhalten, und am Ende hat er uns begeistert mit seinem Mut und seiner Liebe.“ Der Verstorbene, dem der als Sportfan bekannte Präsident der Vereinigten Staaten einen Nachruf hinterherschickte, war kein freundschaftlich verbundener Staatenlenker, kein Politiker und auch kein Künstler, nicht einmal ein Sportler. Stuart Scott, der am Sonntag im Alter von 49 Jahren an Krebs verstorben ist, war Sportmoderator – wenn auch kein gewöhnlicher.
Scott hatte in den vergangenen zwei Jahrzehnten beim Fernsehsender ESPN die Art, wie Sport in den USA im Fernsehen präsentiert wird, radikal verändert. Er war entscheidend mitverantwortlich dafür, dass sich Sportreporter zwar noch als Journalisten verstehen mögen, aber mittlerweile akzeptieren müssen, dass sie Teil eines Unterhaltungsbetriebs geworden sind. Scott stand an der Wiege dessen, was wir zusehends auch hierzulande beobachten: der Spitzensport ist zum Event geworden und die Fernsehreporter sind seine Showmaster.
Erste Berufserfahrung sammelte der in in Chicago geborene und in Carolina aufgewachsene Scott bei lokalen Fernsehstationen im Süden der USA als Nachrichtenmann. Dort entdeckte ihn der TV-Produzent Al Jaffe, der für ESPN auf der Suche nach Nachwuchskräften war, die ein jüngeres Publikum an den als eher bieder geltenden Marktführer binden sollten. Da kam Scott mit seiner, so Jaffe, „erstaunlichen Präsenz“ gerade recht.
Scott moderierte die NBA-Finals und die Super Bowl, berichtete von der Baseball-World-Series und vom College Basketball, er interviewte Michael Jordan und Tiger Woods, er spielte Eins-gegen-eins-Basketball mit Präsident Obama. Vor allem aber krempelte er das Erscheinungsbild von „SportsCenter“ um. Die Nachrichtensendung mit Highlights von Spielen, Kurz-Interviews und Analysen ist das Flaggschiff von ESPN und wird bis zu zwölf Mal am Tag gesendet. Der Moderator Scott machte aus einer eher bräsigen Sendung, in der eigentlich bloß Ergebnisse verlesen werden, ein Ereignis, indem er einen vom HipHop geprägten Duktus einführte. Während er seine mit Wortspielen und popkulturellen Referenzen gespickten Texte vortrug, ruderte er mit den Armen. Mal erinnerte er an den Pastor einer Gospelkirche, dann an einen Rapper, er zitierte Shakespeare ebenso wie Tupac Shakur. Er imitierte den Laufstil des 150 Kilo schweren Shaquille O’Neal und setzte immer wieder lautmalerische Schlagworte ein. Sein „Booyah!“, das vor allem Homeruns begleitete, wurde zuerst zu seinem Markenzeichen und dann zum allseits beliebten Ausruf.
So etwas hatte man bis dahin noch nicht gesehen im amerikanischen Fernsehen, das für ein mehrheitlich weißes Publikum Sportarten überträgt, deren Protagonisten größtenteils afro-amerikanische Profis sind. Es gab damals zwar schon schwarze TV-Moderatoren, aber niemand hatte bis dahin fürs Fernsehen die Sprache adaptiert, die in den Ghettos gesprochen wurde. „Er war ein Vorreiter“, sagte sein Kollege Stan Verrett in einem Nachruf, „nicht nur weil er schwarz war, sondern wegen seines Stils, seiner Haltung. Er hatte keine Angst davor, schwarz zu sein.“
Damit wurde Scott berühmt, aber er eckte auch an. Waschkörbeweise gingen die Droh- und Schmähbriefe bei ESPN ein. „Stuart hat die Grenzen nicht nur verschoben“, sagte Dan Patrick, einst ESPN-Kollege in Scotts frühen Jahren bei dem Sender, „er hat die Grenzen niedergewalzt.“ Scott polarisierte und wurde damit nicht nur zum Aushängeschild seines Senders, sondern auch zum Wegbereiter für eine ganze Garde neuer, oft schwarzer Gesichter im amerikanischen Fernsehen – und für einen um sich greifenden, exaltierten Moderationsstil.
Den legte Scott auch nicht ab, als 2007 bei ihm Krebs diagnostiziert wurde. Trotz der Behandlungen blieb er auf Sendung. Seinen letzten Auftritt hatte er im vergangenen Juli bei der Verleihung der ESPY-Awards, einer Art Sport-Grammy, der von ESPN organisiert wird. Scott, gezeichnet von der Krankheit und abgemagert, aber in einem perfekt sitzenden Anzug, erhielt einen Preis für soziales Engagement. Seine Dankesrede, die sich als seine Abschiedsrede herausstellen sollte, verwandelte er in eine emotionale Achterbahnfahrt. Tränen im Publikum, donnernder Applaus. Der perfekte Abgang für einen überzeugten Showman. THOMAS WINKLER