ALTES GEGEN NEUES BERLIN : Kassen-Showdown
Der Konflikt zwischen dem altem Westberlin und den neu zugezogenen Neobürgern wird unter anderem an der Kasse des Netto-Marktes an der Urbanstraße ausgetragen. Hier treffen kernige Ureinwohner, die in den verranzten Altbauten an der Durchfahrtsstraße wohnen, auf Vertreter des Bionade-Biedermeiers, wie er in der nahen Dieffenbachstraße kultiviert wird.
Hier eine typische Begegnung. Der Ort: die Schlange an der Kasse. Die Zeit: 9.30 Uhr. Die Protagonisten: ein Altberliner mit langen weißen, zum Zopf geflochtenen Haaren, Vollbart, herzkasperrotem Gesicht und einer Südstaatenmütze, der einen Einkaufswagen voll mit Wasserflaschen aus Plastik schiebt. In der Schlange vor ihm eine junge, elegant gekleidete Frau, Typ PR-Beraterin, mit einer Kiste Haferflocken auf dem Arm, die per Smartphone telefoniert. Es ist von „Meetings“ und „Rückflügen“ die Rede.
Altberliner (fährt die junge Frau mit seinem Einkaufswagen an): Könn Se nich’ aufpassen?
Junge Frau (ohne sich umzudrehen): Könnten Sie mich bitte nicht von hinten anfahren?
Er (rempelt sie wieder mit dem Einkaufswagen an): Ick hab’s eilig. Packen Se doch endlich Ihr Zeuch aufs Band.
Sie: Ich bin noch lange nicht dran. Und Sie hören auf, mich anzufahren.
Er: Wir ham’s hier alle eilig. Und sie quatschen am Telefon rum.
Sie: Ja, ich telefoniere gerade. Lassen Sie mich jetzt bitte in Ruhe.
Er (fährt mit dem Einkaufswagen so nah an die junge Frau heran, dass dieser ihren Mantel touchiert: Ick will nur raus hier.
Sie: Moment mal, ich ruf gleich zurück. Ich habe hier ein Problem. (Steckt das Telefon in die Manteltasche, dreht sich um, sieht verblüfft den Mann an, dann beginnt sie laut zu lachen. Was wahrscheinlich nicht die schlechteste Reaktion ist.)
TILMAN BAUMGÄRTEL