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■ ALTES AUS WURZENOhne Registriernummer

Wenn man sich von Wurzen aus in nördliche Richtung entlang der Mulde — der Zufluß der Elbe, welcher gespeist wird aus Wasser und Abwasser der Zwickauer und Freiberger Mulde sowie daran anliegender Ortschaften — etwa zwölf bis dreizehn Kilometer flußab begibt, dann gelangt man in eine weitere Kreisstadt: Eilenburg. Diese befindet sich, im Gegensatz zu Wurzen, welches an der Achse Leipzig-Dresden verwachsen und verwurzelt ist, an der Bahnlinie Leipzig-Cottbus. In dieser Stadt gibt es ein Phänomen, welches wohl im Osten Seltenheitswert, wenn nicht gar Einzigartigkeit besitzt. Es existiert hier eine Stadtdruckerei, die erst Ende April 92 unter die Aufsicht der Treuhand kam. Sie ist bis jetzt praktisch noch ein VEB, da sie noch nicht zu einer GmbH oder ähnlichem umgewandelt worden ist. Somit also vielleicht der letzte volkseigene Betrieb der ehemaligen DDR!?

Diese Druckerei war ein Eigenbetrieb der Stadt Eilenburg. 1960 hatte der damalige Eigentümer seine Firma an die Stadt verkauft! — Wohingegen andere sich enteignen ließen... Sechzehn Kolleginnen und Kollegen arbeiteten hier bis 1990. Im Zuge der neueren Entwicklung der Auftragslage, auch im Zuge etwas effektiveren Wirtschaftens sind von den sechzehn noch sieben Kolleginnen sowie ein Kollege beschäftigt. Und auch mit diesem geringeren Stamm von Betriebsangehörigen ist es nicht einfach, sich genügend Aufträge an die Angel beziehungsweise unter die Presse zu holen.

Früher hatte diese Druckerei die Formblätter, Etiketten und ähnliches für mehrere, also eigentlich für alle hier realsozialistisch wirkenden Betriebe angefertigt. Die Klientel heute kommt kaum noch aus diesen Firmen. Denn die lassen sich ihre Drucksachen teilweise von den Westinvestoren mitbringen, beziehungsweise die werden drüben auch weiterhin angefertigt. Oder sie müssen sich nichts mehr drucken lassen, da sie nicht mehr arbeiten brauchen wegen Schließung. Wenn man da von einer Bank oder Sparkasse die Zahlungsbelege anfertigen kann, so ist das schon ein größerer Auftrag. Die heutige Palette reicht von Geschäfts- und Werbedrucksachen über Prospekte und Broschüren sowie auch Selbstdurchschreibesätze, Privatdrucksachen, Kopierarbeiten, Stempelherstellung und natürlich hin bis zu Aufklebern und Etiketten.

Man arbeitete noch bis 1990 ausschließlich mit dem Buchdruck, also mit dem alten Bleisatz. Da ich mir die Druckerei mit der amtierenden Geschäftsführerin anschauen konnte, hatte ich die Gelegenheit, mich mit eigenen Augen davon zu überzeugen. Ich hatte solche alten Setzkästen und dieses Drumherum das erste Mal vor vielen Jahren in Leipzig in der Iskra-Gedenkstätte gesehen (welche nur ein Fake gewesen sein soll, wie ich's mal irgendwo las), als wir per Klassenfahrt dort durchgetrieben worden sind.

Jedenfalls fühlte ich mich einen größeren Sprung in die Vergangenheit zurückversetzt. Doch heute wird dieses Buchdruckverfahren nur hin und wieder angewendet, bei wenigen Aufträgen. Die Qualität ist natürlich Spitze, allerdings viel zu arbeitsaufwendig. [Tja, gutes altes Handwerk, hat aber noch niemandem geschadet! d. säzzer] Jetzt arbeitet man in der Hauptsache mit einer DTP-Anlage und im Offsetdruck. Im Juli 1990 hatte man sich ein paar neue Maschinen beschafft, sicher nicht neueste High-Tech. Eher waren sie schon gebraucht und veraltet aus den alten Bundesländern herüber gekommen. Doch es war wenigstens ein kleiner Schritt hin zur Modernisierung gewesen.

Der damalige und langjährige Chef machte sich bald selbständig, nahm zwei Facharbeiter der alten Belegschaft mit und ließ sich nicht weit entfernt in Eilenburg nieder — um die Konkurrenz der eigenen ehemaligen Firma zu werden.

Das Gebäude, in welchem sich die Stadtdruckerei befindet, war mal eine alte Wassermühle. Die Druckerei befindet sich also in altem Gemäuer, ohne daß in den letzten Jahren etwas für die Erhaltung getan worden wäre. Doch trotzdem geben sich die Kolleginnen und der Kollege recht viel Mühe, man spürt die Lust und die Energie, durch diese hoffentlich nur temporäre wirtschaftliche Talsohle zu kommen. Er herrscht eine erstaunliche Ordnung, was mit dem alten Maschinenpark und in den alten Räumlichkeiten nicht so einfach ist. Da der Druckerei das gesamte Gebäude gehört, sie jedoch nicht mehr alle Räumlichkeiten benötigt, auf der anderen Seite aber aus der Vermietung doch ein wenig finanzielle Stärkung ziehen kann, ergab es sich, daß kurzerhand der Kulturraum vermietet wurde. Zuerst an einen Sex-, nun an einen Soft- und Hardware- (nicht Hardcore!) Laden. Doch ist nichtsdestotrotz das wirtschaftliche Weiterkommen im jetzigen Zustand reichlich ungewiß. Die Druckerei ist erst seit Ende April zur Treuhand gekommen, und es muß erst eine Umwandlung in eine GmbH erfolgen. Auch eine Registriernummer hat sie noch nicht. Sie ist bis dato nirgends erfaßt. Doch ohne Nummer der Industrie- und Handelskammer ist natürlich auch kein Weiterverkauf drin. Eigentlich existiert dieser Betrieb gar nicht, da er nirgends registriert ist. Das wiederum ist für finanzkräftige Investoren wichtig. Solange keine Erfassung erfolgt ist, so lange kann auch nicht weiterverkauft werden. Und so lange muß man so weiterwurschteln. Die Hoffnung auf finanzkräftige Investoren mit einem aktiven modernen Management wird von der Belegschaft für ein Überleben als unumgänglich angesehen.

Eine junge Dame, welche schon zwei Jahre als Auszubildende zum Betrieb gehört, kann voraussichtlich nicht regulär das dritte absolvieren. Dazu wäre eine Erfassung der Druckerei bei der IHK unbedingt nötig. So wird die Dame wohl auch das dritte Jahr, wie schon die beiden anderen, auswärts absolvieren müssen. Michael Scholz

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