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Archiv-Artikel

ALS NACHFAHRE DES WESTBERLINER ELEGANZPROGRAMMS UNTERWEGS Hommage an einen Barbesuch

VON DIRK KNIPPHALS

WESTWÄRTS, HO!

Wir waren im Haus der Berliner Festspiele gewesen und wollten danach noch etwas trinken. Ich erinnerte mich an die Empfehlung einer Bar in der Nähe. Aber erst mal verliefen wir uns am Ludwigkirchplatz – ich verlaufe mich immer am Ludwigkirchplatz, aber das ist eine andere Geschichte. Dann fanden wir die Bar. Man sieht sie nur, wenn man weiß, dass es sie gibt. Sehr dezent der Name. Und ansonsten nur eine Tür in einer Wand und ein Klingelknopf.

Was wir genau erwartet hatten, weiß ich nicht mehr. Aber das, was dann passierte, hatten wir bestimmt nicht erwartet. Die Tür wurde aufgerissen, vor uns stand ein Mann in den besten Jahren, der aus einem vergangenen Jahrhundert in die Jetztzeit hinübergeweht zu sein schien. Anzughose, weißes Hemd, gegelte Haare und eine gerade Haltung, als hätte er einen Gehstock verschluckt. Er sah also wie eine Mischung aus Dandy und Butler aus und trötete uns zur Begrüßung entgegen: „Die Herrschaften haben doch nicht etwa die Absicht, dieses Etablissement tatsächlich zu betreten?!“

Charismatische Herrschaft ist bekanntlich eine der Herrschaftstypen bei Max Weber. Dieser Barmann wäre ein gutes Beispiel gewesen. Er schmetterte seinen Spruch mit einer Autorität, als würde er die Autorität von hunderten Jahren Cocktailkultur verkörpern. Ich fühlte mich natürlich auf der Stelle an Kafkas Türhüter erinnert und erschauerte. Aber meine Begleitung quatschte uns charmant in den Laden hinein.

Mit Bars ist man ja in ganz Berlin reich gesegnet. Aber mit wirklich guten Bars ist es wie mit Individuen, Bonsai-Bäumen und Kulturteilen: Da muss alles zueinanderpassen, und das braucht Liebe und eine lange, sorgfältige Pflege. Schließlich geht es nicht allein um Kompetenz, sondern vor allem um die Souveränität, mit der sie angewandt wird. Im allerbesten Fall entsteht so eine gewisse Lässigkeit, die man als Barbesucher dann sehr genießen kann. Man sitzt dann nicht mehr allein oder zu zweit vor seinem Creole Swivvel oder Mai Tai, sondern fühlt sich wohlig eingehüllt von aktuell gehaltenen Traditionen und weitergegebenem Geheimwissen. Und nach einigen ziemlich sorgfältigen Recherchen kann ich hier und heute feststellen: Solche Bars finden sich viel häufiger im West- als im Ostteil der Stadt. Okaye Cocktails gibt es vielerorts. Aber in den eingesessenen Westbars fühlt man sich als Teil von etwas Größerem; spätestens beim zweiten Cocktail.

Der Klassiker ist natürlich das Green Door am Winterfeldtplatz, über das die Kollegin Werneburg so anregende Berliner Szenen zu schreiben weiß. Die Victoria Bar an der Potsdamer Straße hat durch den Kunstboom der Meile viel Zulauf bekommen. Ich habe zuletzt auch die Bar am Lützowplatz wieder schätzen gelernt; hier wurde in den achtziger Jahren das Westberliner Eleganzprogramm miterfunden. Die Revolution war sowieso verpasst. Da wollte man jedenfalls anständige Cocktails trinken. Das Mao-Bild grüßt ganz hinten immer noch von der Rückwand der Bar.

Das Rum Trader, die Bar, in die wir an jenem Abend also hineingingen, hatte Platz für vielleicht ein Dutzend Gäste; mindestens die Hälfte rauchte Zigarre. So unsublim der Humor des Barmanns – gern weist er einen auf Unstimmigkeiten in der Garderobe hin, auch aus seiner Verachtung der modernen Zeiten macht er keinen Hehl, und als Neuling muss man sich in seiner Bar erst einmal hinten in eine Ecke quetschen, der Tresen ist für Stammkräfte reserviert –, so erhaben sind seine Cocktails. Drei Fragen hatte er an jenem Abend an uns: Rum- oder Ginbasis? Scharf oder fruchtig? Stark oder schwach?

Fünf Minuten später hatten wir zwei Gläser vor uns stehen, und als wir davon probierten, war das Ergebnis eine lustvolle Geschmacksexplosion auf der Zunge und beinahe sofortige gute Laune. Dazu gab es leise Zwanzigerjahremusik und ein Flaschenregal, das man in Gesprächspausen sehr gut studieren kann, weil es Gin- und Rumsorten enthielt, von denen man noch niemals zuvor gehört hatte.