AKW-Sicherheit in Frankreich: Schnell nuklear eingreifen
Der Stresstest für die französischen Atomkraftwerke hat teure Konsequenzen: Zwar dürfen im Prinzip alle weiterlaufen, einige brauchen aber Milliardeninvestitionen.
![](https://taz.de/picture/233825/14/FESSENhAK22.jpg)
PARIS taz | Alle französischen Atomanlagen dürfen vorerst weiter betrieben werden. Keine weist so gravierende Sicherheitsmängel auf, dass eine sofortige Stilllegung angezeigt sei. Das ist die erste Schlussfolgerung, welche die französische Behörde für nukleare Sicherheit (ASN) am Dienstag in ihrem Bericht aus den durchgeführten Stresstests zog.
Die französische Energieindustrie hätte es zu gern bei diesem vordergründigen Urteil belassen. Aber die ASN verbindet ihre prinzipielle Genehmigung mit einschneidenden und kostspieligen Auflagen, wie erst später klar wurde. Konkret fordert sie zusätzliche Investitionen in die Sicherheit in Höhe von mindestens 10 Milliarden Euro.
Zudem erwartet die Behörde, dass der Energiekonzern Électricité de France (EDF) ihr binnen sechs Monaten mitteilt, wie er die verlangten Maßnahmen realisieren will. Damit hat EDF nicht nur ein finanzielles Problem, sondern auch ein technisches.
Erweiterte Unfallszenarien
Das bedeutet, dass der Stresstestbericht für die französische Atomindustrie tatsächlich eine Wende darstellt: Er zwingt alle Beteiligten, die Risiken der Technologie und ihre mögliche Vermeidung nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima neu zu überdenken.
ASN-Präsident André Claude Lacoste sagte in einem Interview mit der Zeitung Le Monde: "Man kann nur schockiert sein darüber, was in Japan geschehen ist. Es gibt ein Vor- und ein Nach-Fukushima, das ist klar." Die Konkurrenz von Libération hält die mit diesen drakonischen Bedingungen verknüpfte Betriebserlaubnis sogar für grotesk: "Was würde man von einem Fahrzeug halten, das zwar bei der technischen Prüfung für fahrtüchtig erklärt wird, aber gleichzeitig für Reparaturen in die Garage soll, weil es sonst zu gefährlich ist?"
Als Schlussfolgerung aus den erweiterten Unfallszenarien des Stresstests verlangt die ASN, dass alle Anlagen mit einem unabhängigen Kommandobunker zum Notfallbetrieb und mit zusätzlichen Diesel-Notstromaggregaten ausgerüstet werden.
Superfeuerwehr
Allein die Kosten für diese Diesel-Generatoren, die noch am einfachsten installiert werden können, werden von Lacoste auf 2 Milliarden Euro beziffert. Alle AKWs müssen zudem in einem halben Jahr über eine Art Superfeuerwehr, eine Schnelle Nukleare Eingreifeinheit, verfügen - wobei unklar ist, wie das technisch und finanziell bewerkstelligt werden soll.
Für EDF stellt sich in mehreren Fällen die Frage, ob die ultimativ für notwendig erklärte Anpassung an revidierte Sicherheitsnormen bei den älteren Anlagen überhaupt noch Sinn ergibt. Im fast 400-seitigen ASN-Bericht sind namentlich für das AKW Fessenheim auch weitere Auflagen aufgelistet, um namentlich Erdbeben- und Hochwasserrisiken zu begegnen.
In Frankreichs ältestem Atomkraftwerk im Elsass ist die Betriebserlaubnis für weitere zehn Jahre mit der zusätzlichen Aufgabe verbunden, den Betonboden von rund einem auf drei Meter zu erhöhen und den Schutz vor einer Überschwemmung aus dem Elsass-Kanal zu gewährleisten.
Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet stellte klar, dass die Regierung nicht zögern werde, Fessenheim zu schließen, falls nicht alle Bedingungen integral erfüllt werden. Der Physiker Jean-Marie Born vom Atomgegnerkollektiv Sortir du Nucléaire wäre darum nicht überrascht, wenn EDF aus Kostengründen das überalterte AKW Fessenheim opfern würde, um politisch den ganzen Rest zu retten.
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