■ AEG-Vorständler Carlhanns Damm (Haushaltsgeräte, Nürnberg) empfiehlt den beiden Streikparteien:: Im Kopf abspecken
Nach diesem Streik wird die Arbeitswelt eine andere werden müssen. Beide Seiten, IG Metall und Gesamtmetall, müssen über neue Strukturen nachdenken. Es ist einfach nicht mehr zeitgemäß, in unbeweglichen Verbänden die ganzen deutschen Arbeitnehmer oder Arbeitgeber zu organisieren. Schließlich sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Elektro- und Metallindustrie völlig unterschiedlich. Und die wie hoch auch immer abzuschließenden Tariferhöhungen bedeuten in Rosenheim mit seiner vielleicht besseren Lebensqualität zum Beispiel mehr Bares in der Tasche als in Frankfurt, wo die Lebenshaltungskosten enorm viel höher sind. Wenn unsere Welt individualistischer wird, müssen dies auch die Verbände nachvollziehen. Sonst geht es beiden Organisationen wie jenen Großechsen aus der Vorzeit, die ebenfalls als wenig anpassungsfähiges System ausgestorben sind.
Ich bin für eine Flexibilisierung statt der Flächendeckung und damit zum Beispiel auch für eine Anpassung unserer Arbeitszeiten etwa an Jahreszeiten. Denn Kühlschränke gehen zum Beispiel verstärkt im Sommer kaputt und werden ersetzt, deshalb müssen wir in der warmen Jahreszeit unsere Kältegerätefabrik auf Hochtouren laufen lassen. Dagegen werden Herde und Waschmaschinen wieder zu anderen Zeiten verstärkt nachgefragt. Die durch geringen Flexibilisierungsgrad notwendige Lagerhaltung hingegen bindet Kapital und kostet richtig Geld, ist also ein Aufwand, der letztlich keinem nützt: dem Arbeitnehmer nicht, dem Verbraucher nicht, dem Arbeitgeber nicht.
Wenn wir in der Lage sind, unser Geschäft auf internationalen Märkten zu managen, müssen wir doch auch zu höherer Flexibilität am Arbeitsplatz und in der Arbeitswelt fähig sein. Dabei müssen die jahrzehntelangen Erfahrungen aus Tarifkonflikten von beiden Seiten überwunden und positiv aufgearbeitet werden. Also Schluß mit Elefantenrunden, und auf geht's in Zeiten nicht nur des Konsum-, sondern auch des Arbeitswelt-Hedonismus, wenn ich das als bekennender Marketingmann mal so sagen darf. Wer mit Jeans und Stresemann ins Theater geht, teure Schuhe trägt und billig bei Aldi kauft, muß auch beim Thema Organisation der Arbeit leichtfüßiger werden. Vor allem im Kopf gilt es abzuspecken. Dann müssen wir alle nicht um Deutschland fürchten: Denn es geht darum, Standpunkte zu wechseln und nicht gleich Standorte.
Und ich rufe nach den jungen, pragmatischen Leuten in beiden Verbänden. Leute, die den Boden noch sehen, auf dem sie mit beiden Füßen stehen. Carlhanns Damm
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