ADRIENNE WOLTERSDORF über OVERSEAS : Warum es keine Wäscheständer gibt
Wollmäuse treiben mich in den Wahnsinn – und zum Homeshopping, was auf dasselbe hinausläuft
Was soll man von einer Gesellschaft halten, in der es keine so einfachen und sinnvollen Dinge gibt wie Wäscheständer und Schrubber? Diese Frage konnte mir bislang noch niemand in meiner neuen Heimat, den USA, beantworten. Hey, das hier sind die Staaten, schmeiß doch alles in den Trockner, sagen die meisten. Gemeint sind die telefonzellengroßen „Wascheinheiten“: Unten lustlos hin und her rotierende Waschmaschinen, oben röhrende Heißlufttonnen. Sie gehören zur Ausstattung jeder Mittelschichts-Mietwohnung.
Ich begründe meinen Wunsch nach einem Wäscheständer immer wieder mit Energiesparen, nasse Sachen einfach so aufhängen, textilschonender … Augusto Caesar Vargas, genannt Tito, der salvadorianische Handy-Verkäufer und mein Nachbar, den ich um Rat frage, ist verwirrt über meine Vorstellungen von einem zivilisierten Haushalt.
Ich merke, dass mein Ansinnen nicht mit seinem Deutschlandbild von 200 Sachen fahrenden Mercedes-BMW-Besitzenden in Einklag zu bringen ist. Johannes, ein Freund aus Deutschland, der demnächst in die Staaten fliegt, warnt: Er wird mir nichts mitbringen, wenn er vorbeikommt. Er habe sich selten so daneben gefühlt wie vor zwei Jahren, als er in seinen Atlantikflug, Businessklasse, mit einem Wäscheständer als Handgepäck eingestiegen sei, den er Freunden mitbringen wollte. Das tue er nicht wieder, er sei sehr komisch angeguckt worden.
Johannes hatte im Gepäck auch good old Scheuerlappen. Die, musste ich feststellen, gibt es in den Vereinigten Staaten ebenso wenig wie Schrubber. Wer putzen will, legt sich eines der Hightech-Sets aus aufsteckbaren Gerätschaften zu. Die haben Namen wie „grab-it“, „Greif es“, wozu es vorgefeuchtete Lappen gibt, die auf das Hightech-Set nur jeweils einer bestimmten Marke passen. Am besten wäre es, ich orderte das Ganze auf dem Homeshopping-Kanal, rät mir meine Vermieterin, eine Aserbaidschanerin aus Baku, die das Haus nur noch zum DVD-Ausleih verlässt. Beim TV-Shop gäbe es beim Kauf von zwei „Greif es“ noch einen Dritten dazu.
Ich bin allerdings in dieses Land gekommen, um mein in der US-Verfassung garantiertes Recht auf Glück wahrzunehmen. Ich möchte keine drei 24-teiligen Putzsets, sondern suche weiter nach einem einfachen Schrubber. Das wiederum kann Tito absolut verstehen. Seine Mutter bringt aus El Salvador noch nach 20 Jahren neben Kaffee und Wurst immer ihr Lieblings-Mopp-Modell mit, den amerikanischen Putzideologien traut auch sie nicht.
Auf dem Homeshopping-Kanal ordere ich aber schließlich doch. Staubsaugerbeutel, denn mittlerweile hat die Klimaanlage, die gleichzeitig Heizung ist, ganze Herden von Wollmäusen produziert und bläst sie laut ratternd durch die Wohnung.
Nach einer vierwöchigen Odyssee durch sämtliche Shopping-Malls im Umkreis von 50 Meilen sehe ich ein, warum der Amerikaner an und für sich zum Telekauf greift. 500.000 Geschäfte pro Mall, in denen alles geboten wird, von Pfefferminzbonbons für Hunde bis hin zu elektronisch steuerbaren Sonnenschirmen –, aber weit und breit keine Staubbeutel. Ich brauche Tüten für den dubiosen chinesischen Staubsauger „Wonder XP800“, der zu meiner Wohnung gehört. Die Wonder-Beutel werden bereits wenige Minuten nachdem ich meine Kreditkarten-Nummer im TV-Internet-Auftrag eingetippt habe, in Waco, Texas, auf einen Lkw verladen, erfahre ich prompt. Fortan erhalte ich drei Tage lang nahezu stündlich eine Benachrichtigungs- Mail darüber, wo sich meine fünf Beutel gerade aufhalten, bis sie mit FedEx in Washington eintreffen. Ich bin dankbar, aber auch skeptisch. Ist so viel Transparenz beim Staubsaugerbeutel-Kauf wirklich notwendig?
Ist das dieselbe Philosophie, nach der der Präsident dieses Landes behauptet, er müsse Telefongespräche und E-Mails jederzeit anzapfen können, falls al-Qaida anruft? Bestimmt überwacht die CIA auch Staubsaugerbeutel-Lieferungen. Da fährt man mit Low-Tech-Schrubber und Wäscheständer doch wirklich besser. Oder, Ussama?
Fotohinweis: ADRIENNE WOLTERSDORF OVERSEAS Fragen zur Mall? kolumne@taz.de Morgen: Josef Winkler ZEITSCHLEIFE